Ritualmord
ins Bett. Und dann hole ich dir heiße Milch. Das würde dir doch gefallen, oder?«
»Was ist mit dem Buttermesser?«
»Das hole ich dir auch. Sobald du im Bett bist, bringe ich es dir. Versprochen.«
»Und du sorgst dafür, dass sie aufhören, mich anzustarren? Wenn ich im Bett bin?«
»Das tu ich. Versprochen. Ich schalte den Fernseher aus.«
Und er schob sie durch die Tür vor sich her, die Hände auf ihren Schulterblättern: zwei geschlagene Menschen, die sich langsam durch die enge Diele bewegten, während Flea allein zurückblieb und ausdruckslos die Tür anstarrte. Ganz gleich, was für ein Verhältnis man zu seinen Eltern hatte, dachte sie, irgendwo am Weg wartete immer der Schmerz.
Es stellte sich heraus, dass der Walking Man anders war, als alle dachten. Neben dem Cider und dem Geld – Caffery war sicher, dass niemand etwas von dem Geld wusste – gab es da noch mehr. Zum einen machte er nicht da Halt, wo er sich ge-
rade befand, wenn die Sonne unterging. Da war mehr Planung im Spiel. Er hatte Boxenstopps überall im West Country, kleine Schlupfwinkel am Rande der Straße, und er wusste, dass man ihn dort nicht behelligen würde. Er versteckte Sachen dort – unter Steinen und Viehtrögen und in zerbröckelnden Mauern. Hier hatte er Konserven, einen Stapel Schaumgummimatten und vier Krüge Cider in der lockeren Erde neben der Hecke vergraben.
»Man soll immer den Alkohol trinken, den das Land hervorbringt, auf dem man steht.« Er entkorkte den Glaskrug mit den Zähnen. »Gehst du nach Kuba, trinkst du Rum. Gehst du nach Mexiko, trinkst du Tequila. Da kriegt man nie einen Kater. Die Weisheit von Generationen steckt in der Herstellung dieser Getränke. Generationen, die gelernt haben, wie der Körper mit dem Klima, dem Boden und dem Wasser zurechtkommt.«
Caffery schraubte die Scotchflasche auf und kippte den Inhalt auf die gefrorene Erde. Dann beugte er sich vor und streckte sie dem Walking Man hin, der seinen Glaskrug über den Flaschenhals hielt und die Flasche sorgfältig mit dem trüben Cider füllte.
»Und in Somerset trinkt man Apfel.«
Das Feuer loderte jetzt hell und beleuchtete die Gesichter der beiden Männer. Sie saßen auf den gewellten Schaumstoffvierecken und beobachteten, wie es Nacht wurde. Als das letzte Tageslicht verschwunden war, leuchteten die Lichter von Bristol im Nordwesten auf, schemenhaft und fern unter dem grauen Himmel, wie eine Stadt aus alten Sagen – als lebten dort Drachen und nicht Studenten, Drogendealer und Menschen, die so verkommen waren, dass sie anderen die Hände abhackten und sie unter einem Restaurant verscharrten.
Caffery lehnte sich zurück und hob die Flasche an den Mund. Der Cider war kalt, aber er ließ ein so machtvolles Bild von Herbst und den Apfelgärten der Kindheit entstehen, dass
er ihn beinahe in einem Zug geleert hätte, nur um in dieser Erinnerung zu bleiben und nicht an vergrabene Hände zu denken.
»Der Bauer, von dem ich den kriege«, erklärte der Walking Man, »hat bis neunzehnhundertneunzig immer noch einen Kadaver ins Fass getan. Ein Schwein oder ein Huhn. Er sagte, das versüßt die Mischung, und seit die Behörde es ihm verboten hat, ist sein Cider nicht mehr das, was er mal war.«
Caffery trank noch mehr, ließ den Cider durch die Kehle laufen; dass der Wagen auf der Straße stand, kümmerte ihn nicht, und auch nicht, dass er noch nach Hause fahren musste. So hatten Bauern und Arbeiter jahrelang gelebt, und darin lag etwas Tröstliches. Er hatte Cider im Mund und die ehrliche Kälte eines gepflügten Feldes unter dem Hintern, und er ließ den bizarren Tag von sich abfallen und zerbrach sich nicht länger den Kopf über ein armes Schwein ohne Hände, tot oder sterbend. Er wischte sich über den Mund, zog die Knie an, stützte die Ellbogen darauf und lehnte sich nach vorn.
»Was muss ich Ihnen geben?«, fragte er. »Ich kann Ihnen kein Geld geben, und ich weiß nicht, was Sie brauchen.«
Der Walking Man lächelte durchtrieben. »Ich brauche zweierlei.«
»Zweierlei?«
»Als Erstes müssen Sie mir sagen, wer das ist, der da aus dem Nichts auftaucht, von der Straße kommt wie ein Gespenst und will, dass ich ihm meine Vergangenheit offenbare.«
»Ich bin Jack.« Er streckte die Hand aus und wartete, dass der Walking Man sie ergriff.
Doch der rührte keinen Finger. »Jack? Gibt’s da noch einen anderen Namen? Einen Nachnamen?«
»Caffery.« Er zog die Hand zurück und ließ sie verlegen neben sich auf den Boden sinken.
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