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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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»Komm. Sag mir, dass du das nicht ernst meinst.«
    »Doch«, sagte er leise. »Todernst.«
    Sie blinzelte. Das war verrückt. Tig war schwul. Immer schon. Und in alle Zukunft. Nur so hatten sie so lange Freunde sein können. Vielleicht war sie nicht der sensibelste Mensch der Welt – sie konnte mit verbundenen Augen einen Nagel in einem Teich finden, aber wenn es um andere Menschen ging, war sie ein stumpfes Werkzeug –, aber so etwas? Das war verrückt und unglaublich.
    »Na«, sagte Tig, »was meinst du?«
    »Was ich meine? Ich meine…«, sie schüttelte den Kopf, »…wenn du da sagst, was ich glaube, dass du sagst, was ziemlich irre ist, um ehrlich zu sein – aber wenn du das ernst meinst, dann muss ich Nein sagen.«
    »Nein?«
    »Hör zu, du weißt, wie es für mich ist, Tig. Ich bin einfach…«, sie suchte nach einem Wort, »…ich bin wie abgeschnitten. Seit dem Unfall kann ich so nicht mehr denken. Ich bin einfach…« Sie seufzte. Scheiße. Das war alles so verdammt unbeholfen. »Ich meine, Tig, um Gottes willen, du bist doch schwul.«
    Er schob seinen Stuhl zurück, hob die Hände und lachte – ein Lachen, das sagte: »Ich wusste, dass das passieren würde, und ich lache, weil ich so gut hellsehen kann.« Sein Kiefer war angespannt, aber in seinem Blick lag kein Zorn. »Hör zu, zerbrich dir nicht den Kopf deswegen. Ehrlich – denk einfach drüber nach.« Seine Zunge bewegte sich im Mund, als wäre da irgendein störendes Objekt oder ein Geschmack, den er loswerden wollte. »Du denkst drüber nach, und wenn du so weit bist, sagst du es mir, okay?«
    »Okay«, murmelte sie und starrte immer noch wie vom Donner gerührt in seine seltsam auseinanderstrebenden Augen. »Okay. Mach ich.« 

    Um ihr Unbehagen zu überspielen, wandte sie sich ab und suchte etwas, womit sie ihre Hände beschäftigen könnte. Sie hob ihre Tasche auf und wühlte länger als nötig darin herum. Als ihr Gesicht sich ein wenig abgekühlt hatte, schloss sie die Finger um das zerknüllte Foto. Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie es nicht lieber in der Tasche lassen solle. Vielleicht sollte sie das Treffen mit dem Restaurantbesitzer hinter sich bringen und Tig ein andermal von Ian Mallows erzählen. Aber nein. Es musste sein. Es könnte schlimme Folgen haben, wenn sie es jetzt nicht täte. Sie legte das Blatt mit der bedruckten Seite nach unten vor Tig auf den Schreibtisch, ohne ihn anzusehen.
    Er zögerte. »Was ist das?«
    Sie holte tief Luft. Sie wusste, was er sagen würde: »Das ist einer meiner Klienten. Warum zeigst du mir das Bild – glaubst du, ich sehe den hässlichen Scheißer nicht schon oft genug?« Sie drehte das Foto um.
    Tigs Gesicht wurde ausdruckslos. Er schwieg sehr lange. Schließlich zuckte er die Achseln. »Und? Was soll ich jetzt sagen? Du zeigst mir ein Foto von diesem Vogel, und ich soll was dazu sagen?«
    »Du hast ihn noch nie gesehen?«
    »Nein. Sollte ich?«
    »Er ist kein Klient von dir?«
    »Nein.«
    Sie atmete aus und lachte leise. Jetzt war ihr ein bisschen wohler. »Gott sei Dank, verdammt«, murmelte sie. »Wenigstens etwas, das heute mal gut läuft.« Sie steckte das Foto wieder in die Sporttasche und hob ihre Fleecejacke auf. Und im selben Moment hallte das Echo der Türglocke durch das Gemeindezentrum. 

     
    19
     
    15. Mai
    Müde stand Caffery vor der Tür des Gemeindezentrums in Mangotsfield. Ein lästiger Schmerz machte sich in seinen Beinen bemerkbar, und während er darauf wartete, dass jemand öffnete, steckte er zwei Ibuprofen in den Mund und schluckte sie trocken hinunter. Gern hätte er eine Zigarette geraucht und sich hingelegt. Oder wäre zu einem der Mädchen in der City Road gegangen – irgendwohin, nur nicht hierher, wo er das x-te Gespräch mit einem unwilligen Drogenberater hinter sich bringen musste.
    Das Meeting in der Zentrale am Nachmittag war zu einer sterilen Übung in Einsatzmanagement geworden. Jetzt, nachdem Drogen in der Gleichung aufgetaucht waren, war die Luft aus den Ermittlungen raus. Er hatte die Zeit damit verbracht, auf die Rasenflächen und Sprinkler vor der Polizeizentrale in der Valley Road hinauszustarren; halb hatte er dem Ermittlungsleiter zugehört und halb an die vierzig Namen, zwanzig Orte und siebzehn Drogenberatungsstellen gedacht, die noch auf Besuch warteten. Seine Stimmung hatte sich kurz gebessert, als er aus Kingswood gehört hatte, dass es eine Nachricht über die violetten Fasern gab, die man unter Ian Mallows’ Fingernägeln

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