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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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gefunden hatte. Aber es war nur die Mitteilung, das Labor in Chepstow sei in Übereinstimmung mit dem Labor in Portishead zu dem Schluss gekommen, dass es sich um Teppichfasern handle, und man wolle erst kostspielige gaschromato- graphische Untersuchungen durchführen, bevor man ihm weitere Informationen zukommen lasse.
    Ein paar Augenblicke war es still, bis jemand die Tür öffnete. Der leitende Berater der Einrichtung, Tommy Baines, entsprach nicht dem, was Caffery nach Durchsicht der Unter 
    lagen erwartet hatte. Er war Ende zwanzig. Sein Hals wies die blassblauen Spuren eines weggelaserten Tattoos auf, und sein Schädel war auf eine Weise rasiert, die für Caffery Aggression signalisierte – vergangene und gegenwärtige. Auch mit einem seiner Augen stimmte etwas nicht, etwas, das von einer Schlägerei stammen konnte. Vielleicht bildete er es sich ein, aber als er seinen Ausweis zückte, blitzte einen Moment lang so etwas wie Wut in Baines’ Augen auf – fast so, als wäre Caffery ein alter Kumpel, der versprochen hatte, ihn nicht bei der Arbeit zu behelligen, und jetzt doch aufgekreuzt war. Als hätte er ihn gestört. Caffery fragte sich, ob er hier in etwas Privates hineinplatzte. Baines ließ ihn herein und schloss die Tür wieder ab. Caffery hatte das deutliche Gefühl, dass sich noch jemand im Haus befand, jemand, der sich in einem der dunklen Räume versteckt hielt. Eine Frau vielleicht? Er glaubte etwas zu riechen. Ein Parfüm, das ihm sogar vertraut war. Als sie durch den Korridor gingen, wanderte sein Blick über die Türen, und er registrierte, wo sie waren und was möglicherweise dahinter lag.
    »Sie können mich Tig nennen«, sagte Baines und führte ihn in ein Büro. »Hab den Namen im Knast bekommen. Fragen Sie mich nicht, wieso.« Er nahm einen Stapel Blätter mit dem Zwölf-Schritte-Programm und warf sie auf den Kopierer. Mit dem Daumen gab er seinen Code ein. Er sah Caffery an, als wäre er nicht besonders interessiert. Als wäre er es gewohnt, dass die Bullen vor seiner Tür standen. »Im Moment leben wir von der Hand in den Mund. Klein-klein. Keine Dauersponsoren, nur vereinzelte Spenden hier und da und die Gebühren, die wir von manchen Klienten kassieren. Von denen, die es sich leisten können – also praktisch von keinem.« Er redete gemessen und überlegte sich jedes Wort, bevor er es aussprach. »Ich mache hier alles. Bin der Geschäftsführer, der einzige angestellte Berater und, bis wir uns jemanden dafür leisten können, auch für das betreute Wohnen zuständig. Dieses Zen- 
    trum« – er hob eine Hand und deutete auf das Gebäude um sie herum – »ist einer unserer Sponsoren. Ich kann es wöchentlich sechs Stunden kostenlos benutzen.« Er nahm die Kopien aus dem Fach und schob sie in eine durchsichtige Hülle. Sein Blick ging von den Lamellenvorhängen über den strapazierfähigen blauen Teppichboden und den unpersönlichen Spanholzschreibtisch bis zu den Aktenschränken. »Ja, das ist alles, worüber ich als offizielle Geschäftsstelle verfüge. Abgesehen davon und meiner gelegentlichen Tätigkeit als Rückfallberater in einem Wohnprogramm drüben in Keynsham führe ich den Laden praktisch von der Wohnung meiner Mum aus. Und meine Mum ist ein bisschen verrückt.«
    Draußen wurde es dunkel, und die alte viktorianische Schule wirkte verlassen. Caffery legte die Hand auf einen Stuhl. »Kann ich mich setzen? Ich müsste mich kurz mit Ihnen unterhalten, wenn das okay ist. Sie haben’s doch nicht eilig, oder?«
    Tig zögerte. Er stand noch vor dem Kopierer, und Caffery hatte den Eindruck, dass sein Blick ganz kurz zur Tür huschte. Wieder hatte er das Gefühl, als sei noch jemand im Gebäude. Eine unerledigte Sache. Aber die lief nicht weg. Tig deutete auf den Stuhl. »Na klar. Heute Abend ist der Laden hier leer. Nehmen Sie Platz, Mann. Ich setze Wasser auf.«
    Caffery ließ sich auf einem Stuhl nieder und sah ihm beim Hantieren zu: Baines brühte Tee auf, wischte mit einem grünen Papierhandtuch zwei Kaffeetassen aus, suchte in einem Schrank nach einer Keksdose. Während er wartete, kramte er sein Notizbuch und Mossys Foto heraus, das er mit dem Gesicht nach unten auf den Schreibtisch legte. Vernehmungen dieser Art trieben ihn in den Wahnsinn: Er war noch keinem Drogenberater begegnet, der nicht zugekniffen wie ein Nonnenarsch war und nicht so tat, als fragte die Polizei ihn nach seinem Herzblut, wenn sie sich nach seinen Klienten erkundigte – und was für ein Problem sie

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