Ritualmord
Bügelsäge aus der Werkzeughandlung. Was für eine Zukunft ist das?«
Er bemerkte, dass Tig einknickte. Ein kleiner weißer Fleck breitete sich auf seiner Stirn aus, als hätte das Blut aufgehört zu fließen.
»Hören Sie«, sagte Tig, »ich bin für diese Jungs verantwortlich.«
»Und für ihre Zukunft. Der auf dem Foto, er hat sicher viel mit manchen Ihrer Klienten gemeinsam. Den gleichen Lebensstil. Daher wissen wir: Wenn es noch einmal passiert, wird es wahrscheinlich jemandem passieren, der ihm ähnlich ist.«
»Aber ich kann Ihre Leute hier nicht reinlassen. Das geht nicht. Meine Klienten würden mir nie wieder vertrauen.«
»Das ist Ihre Entscheidung. Nur Sie können sich dafür entscheiden, das Richtige zu tun.«
Nach einer kurzen Pause sagte Tig: »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wenn Sie das Foto hierlassen, zeige ich es den Jungs. Vielleicht kommt was dabei heraus.«
»Kann ich mich dabei auf Sie verlassen?« Caffery wollte das Spiel noch ein wenig in die Länge ziehen. »Die zukünftigen Opfer – können die sich auf Sie verlassen?«
»Mann, jetzt hören Sie mal. Ich verspreche Ihnen hier et
was. Okay? Ich gebe Ihnen ein Versprechen. Nehmen Sie’s an, oder lassen Sie’s bleiben.«
Caffery nahm Mossys Foto wieder aus der Mappe und schob es hinüber. Tig nahm es, beherrscht und mit angespannter Miene. Er legte es auf den Kopierer und vervielfältigte es ein paarmal. Dabei wandte er Caffery den Rücken zu, und der saß eine Weile schweigend da und überlegte, ob es noch etwas gab, wonach er fragen sollte. Auf dem Boden neben dem Kopierer stand eine Sporttasche, die er erst jetzt bemerkte, und darüber lag eine Fleecejacke. Irgendetwas an dem Logo darauf kam ihm bekannt vor, und seine Gedanken begannen zu wandern, als Tig sagte: »Wissen Sie über mich Bescheid?«
»Was soll ich wissen?«
»Sie haben meine Akte nicht angesehen, bevor Sie hergekommen sind?«
»Was hätte ich gefunden, wenn ich es getan hätte?«
Tig gab ihm das Foto zurück und setzte sich. Er rieb mit der Hand über seinen rasierten Schädel. »Was Sie da vorhin gesagt haben – ob ich nie die Lust verliere. Wissen Sie, warum nicht?«
»Nein.« Caffery schaute die Tasche und dann wieder Tig an. »Nein, weiß ich nicht.«
»Meinetwegen. Ich bin einer von denen. Oder ich war es. Deswegen habe ich nie die Nase voll von ihnen oder der Scheiße, die sie durchmachen – den Selbsthass, das Elend, das beschissene Loch, in das man als Süchtiger fällt. Ich weiß, wie es ist, wenn man ein Autofenster einschlägt, weil ein Zehnpencestück auf der Ablage liegt. Wenn ich meiner Mum die Rente klaue oder fremden Stoff aus einer Kotzpfütze fische. Ich weiß, wie es ist, wenn man sich da unten befindet.«
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Weil ich beinahe jemanden umgebracht hätte.« Er schwieg, um seine Worte wirken zu lassen. »Ich hab dafür gesessen, aber ich kann mir vorstellen, dass Sie es rausfinden und wie-
derkommen, und dass Sie dann ein bisschen keck werden und vielleicht mit dem Finger auf mich zeigen. Ich sag’s Ihnen besser gleich, dann gibt’s keine Überraschungen.«
Caffery lehnte sich zurück. Eine Weile hörte man nur das Surren des Kopierers; das Gerät blitzte und verströmte den Geruch von Toner. Schließlich sagte er: »Und? Was ist passiert?«
»Eine alte Lady. Ich war high. Bin in ihr Haus gegangen, um sie auszurauben, und dann hab ich sie halb umgebracht: Hab sie mit der Schnur ihrer Nachttischlampe gefesselt und ihr beide Beine mit einem Bügeleisen gebrochen.«
Caffery begann langsam zu lächeln. Etwas Kaltes kroch in seinen Schädel. »Und Sie möchten mir sagen, dass Sie es bereuen? Dass Sie jetzt straight sind und Ihre Lektion gelernt haben? Dass Sie ein produktives Mitglied der Gesellschaft sind? Dass wir jetzt ein freundliches kleines Gespräch über Rehabilitierung führen sollten?«
Tig lächelte gehässig zurück. »Ah ja. Ich hätte es wissen sollen. Ich hätte es in Ihren Augen sehen müssen. Sie glauben nicht, dass Menschen sich ändern. Vergebung ist ein Wort, das Sie selten benutzen.«
Caffery versuchte sich vorzustellen, wie es sein musste, eine alte Frau mit einem Stromkabel zu fesseln und dann mit einem Bügeleisen auf sie einzuschlagen, bis ihre Beinknochen splitterten. Er versuchte sich vorzustellen, was Penderecki mit Ewan gemacht hatte. Wie es wäre, einen neunjährigen Jungen zu vergewaltigen. Wie laut musste er schreien, bis man aufhörte? Penderecki hatte seine Chance
Weitere Kostenlose Bücher