Ritualmord
Als ihr nichts anderes übrig blieb, folgte sie Tig zum Auto und zog ihren Schlüssel aus der Tasche. Sie schloss ihm die Tür auf, setzte sich dann ans Steuer und ließ sich seufzend zurücksinken.
»Ich sag dir noch was.« Sie schnallte sich an. Noch immer spürte sie Mabuzas Händedruck an ihrer Handfläche. »Die gehen heute Abend nicht zur Kirche, zumindest nicht in eine, in die wir beide gehen würden.«
»Ach, jetzt komm. Was redest du denn da?«
Sie starrte zurück zum Haus, von außen betrachtet ein ganz normales Haus. Sie dachte an das Gefühl, dass da in Kniehöhe Schatten an der Täfelung entlanggehuscht waren. Sie dachte an die Frau, die etwas unter dem Bett gesucht hatte, und an die Angst in ihrem Gesicht. Sie dachte an die Kruzifixe. Und plötzlich begriff sie, was mit dem Haus nicht stimmte.
Sie drehte sich zu Tig um, und ihre Augen brannten. »Glaub mir, Tig, diese Leute sind keine Christen.«
21
15. Mai
Als Caffery um acht Uhr ins Büro zurückkam, hatten die Datenbankspezialisten ihre Arbeit für diesen Tag beendet und Feierabend gemacht. Einer aus dem Team wollte noch Überstunden anhängen, und Caffery schickte ihn zu der einzigen Drogenberatungsstelle auf der Liste, die abendliche Sitzungen veranstaltete. Bald war das Einsatzbüro leer.
Caffery genoss die Stille; er trödelte ein bisschen herum und tat, als arbeitete er sinnvoll: Er las seine Mails, schaute sich die Lebensläufe einiger neuer Teammitglieder an und durchsuchte die polizeilichen Datenbanken nach Schlüsselworten aus der Aussage der Kellnerin: Fluss. Jugendlich. Als er Exhibitionist dazuschrieb, füllte der Bildschirm sich so schnell, dass der Schiebebutton am rechten Rand des Bildschirmfensters auf Nagelkopfgröße zusammenschrumpfte. Der Datenspezialist hatte recht gehabt: In Bristol gab es ungefähr tausend Jungs, die mitten in der Nacht für die Mädels der Umgebung mit dem Schwanz wedelten. Auf eine so lange Liste hatte er keine Lust.
Er ging zum Fenster und zog die Jalousie auseinander. Eine seltsame Niedergeschlagenheit überkam ihn. Die Halal-Metzgerei auf der anderen Straßenseite war geschlossen, aber der Take-away daneben hatte noch nicht geöffnet. Er sah auf die Uhr. Halb neun. Noch früh eigentlich. Aber bald würde die Sonne untergehen. Und das bedeutete, dass die Mädels in der City Road unterwegs sein würden, wenn man wusste, wohin man gehen musste. Seine Finger spannten sich immer fester um die Jalousie, bis er befürchtete, sie würde zerbrechen, wenn er noch länger hier stehen bliebe. Er zog sein Handy aus der Tasche und rief die Nummer auf, die Flea ihm gegeben hatte: ein alter Freund ihrer Mutter, hatte sie gesagt, der sein Geschäft zu Hause betrieb.
Das Telefon klingelte ein paarmal, und er wollte schon aufgeben, als sich der Gärtner meldete: Ja, der Vernus, ach ja, der habe seine besten Tage schon hinter sich, was die Beliebtheit angehe, aber er könne vielleicht ein paar Zwiebeln in den nächsten zwei Tagen bestellen, wenn Caffery nichts dagegen habe zu warten; aber Caffery müsse dann nach Bishop Sutton kommen und sie abholen, denn Lieferungen mache er nicht, wohlgemerkt. Und da sie schon mal miteinander sprachen – wie ging es denn Flea Marley, der Süßen? War das nicht eine Tragödie, was dem armen Kind da passiert war – und noch nicht mal dreißig?
»Ich glaube…« Caffery trommelte mit dem Finger auf den Schreibtisch; es war ein seltsames Gefühl, der Einzige zu sein, der über eine Geschichte nicht im Bilde war, die jeder andere kannte. »Ich glaube«, sagte er, »wenn man alles bedenkt, geht’s ihr ganz gut… Aber ich werde ihr sagen, dass Sie sich erkundigt haben.«
Sie redeten noch ein Weilchen über Belanglosigkeiten, über die Bezahlung – und Caffery klinge nicht, als wäre er von hier, und wie es ihm im West Country gefalle? Caffery plauderte gelassen, aber als das Gespräch zu Ende war, runzelte er die
Stirn und trommelte ein bisschen lauter. Was hatte der Gärtner da gesagt? Eine Tragödie in Flea Marleys Leben. Was für eine Tragödie? Und unversehens fragte er sich, ob sie einen Mann hatte, der ihr darüber hinweghalf. Und an diesem Punkt musste er sich bremsen. Neugier ist normal, Alter, dachte er; sie hat dich zum Polizisten gemacht. Sie und das Trinken. Aber weiter darf es nicht gehen. Solche Gedanken konnten eine Menge Schaden anrichten.
Er stellte sich vor die Regionalkarte an der Wand und legte den Daumen auf Bishop Sutton; dann spreizte er die Hand,
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