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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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ihm die Hände abzutrennen. Obwohl er innerlich dem Weinen nah ist, hat dieser Mensch etwas an sich, das ihm das Gefühl gibt, ein Mann zu sein. Er kommt sich größer vor, wenn Skinny da ist; er sieht ihn nicht als Peiniger, sondern als Opfer, vermutlich weil dieser kleine afrikanische Kindmann ebenfalls benutzt wird.
    Skinny arbeitet für den Onkel, und diese Arbeit ist unterschiedlich: Manchmal nimmt er Leuten Blut ab, manchmal verkauft er Drogen, und manchmal muss er auf die Straße gehen und seinen Körper verkaufen. Mossy ist nicht weiter überrascht: Skinny ist klein – so klein –, und sie wissen beide, dass für so was ein Markt existiert. Da gibt’s speziell einen Kerl, einen fetten Typen in einem schrottigen Wagen, der vor dem Supermarkt im Viertel sitzt, und manchmal, wenn Skinny weggeht, trägt er bescheuerte Sachen, in denen er aussieht wie ein Kind – kleine Mützen und Schulblazer.
    »Das ist für den Dicken«, sagt er. »Er hat es gern, wenn ich es anziehe.«
    Mossy begreift nicht, warum es ihm nicht egal ist, was Skinny treibt, wenn er weggeht. Er begreift nicht, warum es ihm zu¬wider ist, sich vorzustellen, wie irgendein fetter Scheißkerl sei¬nen Schwanz in Skinnys Arsch rammt. Er weiß nur, dass er diesen Typen in all dem Horror hier irgendwie gern hat. Da¬rüber kann er natürlich nicht sprechen, denn so geht’s eben in diesem Leben: Letzten Endes sind er und Skinny ein und die¬selbe Kreatur. Beide sind aus dem Arschloch der Welt gekratzt worden. Die einzige Währung, die sie besitzen, ist ihr eigener Körper, und man stellt keine Fragen, wenn ein Freund auf den Strich gehen muss.
    Wahrscheinlich ist es für Skinny noch schlimmer, weil er sich illegal im Land aufhält. Mossy hat das Gefühl, hier wohnen noch andere Illegale: Manchmal sieht er Schatten in dem 

    Käfigding gegenüber und hört seltsame Geräusche, als wieselte da jemand herum. Manchmal, wenn es richtig dunkel und Skinny nicht da ist, ist Mossy fast sicher, dass da jemand Unheimliches mit ihnen zusammenwohnt. Wenn er, was selten vorkommt, in diesem Höllenloch mal schlafen kann, dann wacht er auf und denkt, was immer da sein mag, ist leise unter dem Fenstergitter hereingeschlüpft und geräuschlos durch den Raum und in den Käfig geglitten.
    Na, denkt er, wenn ein Schluck Wasser wie er nicht durch den Gitterspalt passt, wie zum Teufel soll sonst jemand da durchkommen? Es sei denn, denkt er manchmal spät abends, wenn er den ganzen Tag allein gewesen ist – es sei denn, es wäre nicht jemand, sondern etwas. Etwas, das gar nicht menschlich ist.
    Aber bei diesem Gedanken wird ihm eiskalt. Also wendet er dem Fenster den Rücken zu, wann immer er kann, und gibt sich die größte Mühe, gar nicht daran zu denken.
    23
    16. Mai
    Katherine Oscar trug eine weiße Bluse, eine beigefarbene Männerreithose und Reitstiefel und hatte das Haar im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden, locker und nachlässig, als hätte sie nicht viel Zeit darauf verwandt. Mrs. Oscar zu sein, war eine schöne und raffinierte Kunst, und sie arbeitete hart daran sicherzustellen, dass niemand sich erlauben konnte, sie als manieriert zu bezeichnen. Oder gar als Snob. An diesem Mittwochmorgen stand sie sehr früh in der kiesbedeckten Einfahrt der Marleys, und sie sah verärgert aus. Sie hatte die 

    Hände in die Hüften gestemmt und den Kopf in den Nacken gelegt, um zu den Fenstern im ersten Stock des Cottage hinaufzuschauen. Wahrscheinlich fragte sie sich, warum niemand ihr die Tür öffnete.
    Flea war eben aus der Dusche gekommen; in ein Badetuch gewickelt, stand sie reglos da und beobachtete Katherine Oscar durch das Badezimmerfenster. Solange sie denken konnte, hatte es immer ein Problem damit gegeben, hier zu wohnen: Katherine Oscar und ihre Familie. Die hohen Mauern ihres Hauses grenzten an den Garten der Marleys, und so hatte man immer das Gefühl, beaufsichtigt zu werden: Die Kinder der Oscars konnten sich aus dem Schlafzimmerfenster beugen und die Marleys in ihrem Garten beobachten, der einst zum Haus der Oscars gehörte. Das Herrenhaus verfügte über einen Garten auf der anderen Seite, ein riesiges Gelände mit Swimmingpool, Pferdeställen und verschlungenen Zierbeeten, aber den Oscars war es immer schwergefallen zu akzeptieren, dass sie die Herrschaft über den Garten der Marleys nicht mehr besaßen, und nicht selten spazierten sie ohne zu fragen, auf Fleas Grundstück, als hätten sie einfach kraft ihres Reichtums das Recht dazu.
    Der

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