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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Menschenhäute. Sind sehr starke Medizin.«
    Mossy steigt wässrige Kotze in den Mund. Er muss den Kopf zurücklehnen und schlucken, und sein Magen dreht sich 

    um. Er hat von Leuten gehört, die ihre Nieren verkaufen; ein Freund von ihm hat behauptet, er hätte in Indien eine Niere verkauft, damit er das Flugticket nach Hause bezahlen konnte, und alle haben ihm geglaubt. Aber das alles gehört doch in eine andere Welt.
    »Scheiße«, murmelt er, und ihm wird abwechselnd heiß und kalt. »Verfluchte Scheiße. War es das, was du mit meinem Blut gemacht hast? Willst du das – o Gott –, willst du das auch mit meinen Händen machen?« Er stößt Skinny vom Sofa. Jetzt zittert er. »Das war nicht bloß einer, der mich beobachten wollte – du willst die Scheißdinger verkaufen?«
    Skinny hockt vor ihm auf dem Boden, und seine Augen leuchten. »Nicht ich. Onkel. Der Onkel ist der Mann, der das Geld macht. Ich, ich hab keine Wahl. Ich hab kein richtiges Visum, weißt du? Onkel sagt die ganze Zeit, er kann die Polizei zu mir schicken, wann er will.«
    Mossy schließt die Augen und schluckt noch ein paarmal, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Er hat immer gedacht, in der Welt, in der er lebt, kennt er all die kranken Sachen, die Leute miteinander machen. Er hat gedacht, er weiß, wie verkommen die Menschen sein können. Aber jetzt sieht er, wie blöd er war. Jetzt sieht er, dass es da draußen ein ganzes Universum gibt, ein Universum, von dem er nichts geahnt hat, ein Universum des Grauens und der Verzweiflung, das so dunkel ist, wie er es in seinen schlimmsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte. 

    25
     
    16. Mai
    Die Großvateruhr schlug zwölf, und hinter dem Haus schien die Sonne auf die Reihe der Bäume und warf ihren Schatten auf den Kies. Der Frühling war da. Schon hingen die langen Blütentrauben der Glyzinen vor den Fenstern und betasteten die Scheiben, als wollten sie herein. Früher hatten die Marleys die Gartenarbeit zusammen erledigt, aber seit dem Unfall hatte Flea weder Zeit noch Lust dazu, und einen Gärtner konnte sie sich nicht leisten. Deshalb wucherte der Garten im Sommer wie ein Dschungel, und es summte überall von Insekten. Noch zwei Jahre, und man würde nicht mehr ohne eine Säge über die Terrassen hinunter ins Tal gehen können. Da unten stand auch ein Schmuckbau, der aussehen sollte wie die Seufzerbrücke in Venedig; er spannte sich über einen kleinen Zierteich, doch der Kalksteinmörtel war verwittert, und im letzten Winter waren die Steine im See versunken; jetzt konnte man nur noch die obere Wölbung des Bogens erkennen. Es wäre vernünftig, den Garten an die Oscars zu verkaufen, aber die Vorstellung war unerträglich, dass deren Kinder dort herumlaufen würden, wo sie und Thom einst groß geworden waren.
    »Es bricht um mich herum alles zusammen, Mum«, flüsterte sie, als sie am Mittag in der Küche stand. Sie konnte die Sonnenkollektoren sehen, die Dad in einer Reihe an der Garage aufgestellt hatte. Sie waren vor Monaten kaputtgegangen, und sie hatte kein Geld für eine Reparatur, und zu allem Überfluss wuchs Moos auf den Fliesen und Gras in den Regenrinnen. Von weitem wirkte das Dach wie ein Rasen. »Es tut mir so leid. Ich hab nie gewollt, dass es so kommt.«
    Sie nahm den Topf mit den Nudeln vom Herd und kippte das Wasser in das Sieb. Sie blinzelte im Dampf, als sie die Seihe 
    auf die Arbeitsfläche neben Dads Tresor stellte. Kaiser hatte gesagt, sie würde hungrig werden; der Trip werde wahrscheinlich mehr als vierundzwanzig Stunden dauern, und wenn er vorbei sei, werde sie Kohlenhydrate und Vitamine brauchen. Sich danach etwas zu essen zu machen – oder überhaupt etwas zu tun, das Konzentration erforderte –, werde schwierig werden. Pasta war genau das Richtige – Mums Lieblingsessen. Die könnte sie in einer Tupperdose aufbewahren und morgen in die Mikrowelle stellen. Sie schälte die Fleischtomaten, die sie mit kochendem Wasser überbrüht hatte, und hielt die Finger unter den kalten Wasserhahn, wenn sie zu heiß wurden. Die Schalen trug sie zum Mülleimer, trat auf das Pedal und klappte den Deckel auf, aber dann hielt sie inne. Sie betrachtete das glitschige Zeug in ihren Händen und den Saft, der zwischen ihren Fingern herabtropfte, und dachte plötzlich an den Haufen Menschenhaut, den sie Caffery am Morgen gezeigt hatte. Das Bild blieb einen Moment lang vor ihrem geistigen Auge, bis sie die Tomatenschalen in den Mülleimer geworfen und sich die

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