Ritualmord
eine Haut, sondern die zweier Menschen – zweier halbwüchsiger Jungen. Im Leben hatten sie einander nicht gekannt, aber im Tod waren ihre Existenzen untrennbar miteinander verbunden und in einer Vitrine zur Illustration des
Schmuggels in Daressalam ausgestellt. Die Häute waren bei Schmugglern beschlagnahmt worden, deren Geschäft es war, Menschen in Tansania die Haut abzuziehen und sie dann zu einem hohen Preis zu exportieren – manchmal nach Nigeria, manchmal nach Südafrika.
Lange Zeit starrte er das Bild an und war sich dabei seiner eigenen Haut bewusst, ihrer Form, ihrer Unzulänglichkeit. Muti. Schon der Klang dieses Wortes schien ihm unheilvoll. Der Eigentümer des Moat, Gift Mabuza, war in die Stadt zurückgekehrt, ohne die Polizei zu informieren. Er war Afrikaner, und in manchen afrikanischen Ländern gab es die abergläubische Praxis, Hände unter dem Eingang eines Geschäfts zu vergraben. Die Gleichung war einfach.
Caffery dachte eine Weile über Mabuza nach und versuchte sich ein Bild von diesem Menschen zu machen. Er hatte gute Lust, ihn sofort vorzuladen, verwarf jedoch den Gedanken wieder, weil er einsah, dass es ein Fehler wäre. Es war besser, zuerst ein paar Erkenntnisse zu sammeln und auf das Ergebnis der Faseruntersuchung zu warten. Er hatte den Einwanderungsbeamten der Operation Atrium angerufen und ihn gebeten, Mabuzas Aufenthaltsstatus zu ermitteln, dann mit dem Ermittlungsleiter gesprochen und ihn überredet, eine vierundzwanzigstündige Observation zu genehmigen, nur damit sichergestellt war, dass der Mann blieb, wo er war. Aber kaum hatte er den Hörer des Festnetztelefons aufgelegt, als sein Diensthandy in der Tasche zu klingeln begann. Er klappte es auf. »DI Caffery, Dezernat für Schwerstkriminalität. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann sagte eine Stimme mit leichtem Akzent steif und höflich: »Mein Name ist Gift Mabuza.«
Caffery saß reglos da. »Ich weiß, wer Sie sind«, sagte er ruhig. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ihre Leute haben während meines Urlaubs mit mir gesprochen. Ich bin wegen des Problems bei meinem Restaurant zurückgekommen. «
Caffery zögerte. »Ja«, sagte er dann, »es gab da ein Problem.«
»Es wäre gut, wenn ich zu Ihnen kommen und mit Ihnen sprechen könnte.«
»Sie möchten mit mir…?« Er ließ den Satz in der Schwebe. »Okay. Gut. Was halten Sie von…« Er überlegte angestrengt. Er wollte wissen, was das Labor über die Fasern herausgefunden hatte, bevor er mit Mabuza sprach. »Was halten Sie von… morgen Vormittag?«
»Ja. Gut. Ich würde diese Sache gern klären.« Wieder trat eine Pause ein. Es klang übermäßig kultiviert, als Mabuza dann sagte: »Ich danke Ihnen, Sir. Vielen Dank und auf Wiedersehen.«
Die Leitung war tot. Nach einer Weile steckte er das Telefon ein, schob mit dem Zeigefinger den kleinen Beutel mit Teppichfasern auf dem Schreibtisch herum und dachte an Mabuza. Hatte er sich angehört wie jemand, der etwas verbergen wollte? Dann dachte er an Flea, wie sie hier in seinem Büro beim Reden am Reißverschluss ihrer Fleecejacke herumgefummelt hatte; er dachte an ihre sauberen, weißen Fingernägel und ihre schlanken Gliedmaßen unter dem Polizeioverall. Wenn sie aussähe wie ein normaler Sergeant einer Unterstützungseinheit, hätte er sie vielleicht ausgelacht. Mutti Wurde er da auf eine Theorie gestoßen, auf die er selbst nicht gekommen wäre?
Formal gesehen hätte er über Fleas Besuch bei Mabuza ei¬nen mehrfachen Vermerk anlegen müssen, sowohl im Verfahrenslog als auch in seinem eigenen Notizbuch. Er hätte in der Ermittlungsakte klar und deutlich festhalten müssen, dass er sie darüber aufgeklärt hatte, in welcher Hinsicht sie gegen die gesetzlichen Ermittlungsvorschriften verstoßen habe. Das alles hätte er tun müssen, aber er tat es nicht. Stattdessen räumte er alle seine Logs weg, klemmte den Telefonhörer an die Schulter und tippte eine Nummer ein. Marilyn Kryotos, die Leiterin der Computerermittlungsabteilung in seiner alten Einheit bei der Metropolitan Police. Sie war jetzt bei Scotland Yard und gehörte zu einem Team von Beratungsspezialisten, das für Fälle von ritueller Misshandlung und magischen Prak¬tiken zuständig war. Dieses Team hatte man als Reaktion auf die Fälle Victoria Climbie und »Adam« gegründet. Adam war nach Schätzung des Pathologen zwischen vier und sieben Jahren alt gewesen, als er rituell zerstückelt wurde. Alle Erkennt¬nisse
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