Ritualmord
eine Art Gewand, rot, schwarz und weiß kariert und mit Symbolen, die aussehen wie afrikanische Masken. Auf dem Kopf sitzt eine Perücke aus langem schwarzem Haar, in das weiße Muscheln geflochten sind. Einen Moment lang steht er reglos da wie ein Löwe, der zum Sprung ansetzt, und dann plötzlich ist er in Bewegung und wieselt auf dem Boden umher. Mossy richtet sich auf dem Sofa auf, denn die Bewegungen haben etwas Widerwärtiges; sie sind schnell und unnatürlich, ein bisschen wie bei einer verletzten Spinne. Er benutzt Hände und Füße dabei, und die Perlen in seinem Haar klicken aneinander.
Skinny zischt und entblößt die Zähne wie eine Schlange, aber Mossy weiß, dass es nicht echt ist: Was er sieht, ist eine Vorstellung. Er kapiert sofort, dass es nur für die Kamera passiert; sie ist verstohlen im Korridor erschienen, und er kann sie sehen. Das Gitter ist offen, und das Licht kommt von dort, von einem Minischeinwerfer über dem Objektiv.
Mossy ist klar, wer da ist. Der Onkel steht hinter der Kamera, und Mossy hat nicht vor, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; also lässt er den Kopf sinken, als schliefe er noch, und verdreht nur die Augen, um zuzusehen.
Skinny hört auf mit seinem Herumgehusche und zieht einen kleinen Stoffbeutel unter seinem Gewand hervor. Mossy hat ihn schon mal gesehen. Manchmal lässt Skinny ihn auf dem
violetten Teppich liegen; er sagt, er enthält die »Wahrsageknochen«, aber die zeigt er Mossy nie. Jetzt schüttet er sie aus, hockt sich davor und streicht, während er vor sich hin murmelt, mit den Händen darüber hin.
Mossy sieht sie verstreut auf dem dreckigen Teppich liegen, nicht nur Knochen, sondern auch andere Sachen: Muscheln, zwei Spielkarten, ein Dominostein, ein kleines Taschenmesser und ein gelbliches Stück Schwarte, vielleicht vom Metzger, denkt Mossy. Er sieht schweigend zu, als Skinny auf die Spielkarten deutet und in einer Sprache murmelt, die er noch nie gehört hat, aber die sehr nach Afrika klingt.
Die Vorstellung dauert ziemlich lange. Als Skinny fertig ist, geht er hinaus in den Korridor. Die Gittertür wird für eine Weile geschlossen, und Mossy hört Gemurmel. Das Licht geht aus, und kurz darauf wird hinten eine Tür geöffnet und wieder geschlossen. Skinny kommt wieder herein und schließt das Gitter hinter sich zu. Dann setzt er sich zu Mossy. »Du hast mir zugesehen?«
»Ja.« Er legt eine Hand an die Stirn und sieht Skinny durchdringend an. »Ich hab dir zugesehen. Was sollte diese Scheiße?«
»Ich werfe die Knochen.«
»Was machst du?«
»Ich werfe die Knochen. Ich bin sangoma.«
»Sang… was?«
»Sangoma. Hellseher, Führer, Heiler. Meine Knochen führen mich; ich kann in die Zukunft sehen, ich kann Diebe finden. Sie sagen mir die Wahrheit über viele Dinge, viele Probleme mit Gesundheit und Glück.«
Mossy lacht rau. »Soll das heißen, du bist ein beschissener Medizinmann?«
»So ähnlich. Nicht ganz wie ein Medizinmann, aber so ähnlich.«
Mossy lacht wieder. »Nein, bist du nicht. Scheiße, du bist
kein Medizinmann. Das war die beschissenste Aufführung, die ich je gesehen hab.«
»Doch, ich bin einer.«
»Nein, bist du nicht.«
Skinny sieht ihn lange an. Seine Augen sind traurig. Schließlich geht er zum Gitter, späht hindurch und lauscht. Als er sicher ist, dass sie nicht beobachtet werden, zieht er sein Gewand aus und wirft es auf den Boden. Darunter trägt er einen altmodischen Tanga und sonst nichts; seine schmächtige Gestalt sieht dunkel und glatt aus. Er kommt zum Sofa und schiebt sich neben Mossy, legt ihm eine Hand um Ohr und Hals und zieht ihn zu sich heran, als wollte er ihn küssen. Aber das tut er nicht. Stattdessen drückt er seine heißen, rissigen Lippen dicht an Mossys Ohr und flüstert: »Nicht dem Onkel sagen, nicht dem Onkel.«
»Ich werde doch nicht mit ihm reden, oder?«
»Ich und mein Bruder. Wir sind Kuriere in Afrika. Die Gang, für die wir gearbeitet haben – wir haben ihr Geld genommen, um herzukommen.«
»Kuriere?«
»Haben Ware befördert. Du verstehst.«
»Ich weiß, was ein Kurier macht, verdammt. Aber was für Ware?«
»Häute. Hab sie über die Grenze gebracht. Kommen aus Natal oder Mosambik, werden verkauft in Tansania.«
Mossy weicht zurück, senkt das Kinn auf die Brust und starrt Skinny an. »Was für Häute?«
»Von Leuten.«
»Menschenhäute, meinst du?«
»Ja«, antwortet Skinny, als wäre das nichts weiter. »Das ist unser Geschäft. Ich und mein Bruder.
Weitere Kostenlose Bücher