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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Außerdem …« Er brach mitten im Satz ab und wandte ihr sein Gesicht zu. Eiskristalle hatten sich in seinem Kinnbart verfangen und krönten die schwarzen Härchen. In den verspiegelten Gläsern sah sie ihre eigenen Züge, während Erics Antlitz kalt wie das eines professionellen Auftragsmörders aussah. »Außerdem wurde er von einem jener Wesen, die er heilen wollte, umgebracht. Seine Aufzeichnungen wurden vernichtet.« Er seufzte. »Wir machen diese Sache gemeinsam, aber danach trennen sich unsere Wege, Lena. Und Sie werden nichts von dem, was Sie erlebt haben und noch erleben werden, einem Menschen erzählen.«
    »Normalerweise sollten Sie nach einer solchen Ankündigung etwas sagen, was mit oder sonst anfängt«, meinte sie leichthin. »Ich weiß, dass Sie ein gefährlicher Mann sein können, Eric, aber Sie würden einem unschuldigen Menschen wie mir nichts tun. Also sparen Sie sich diese Einschüchterungsversuche. Sie wirken bei mir ohnehin nicht.« Es fiel ihr sehr leicht, ihm zu widersprechen, weil sie seine Augen nicht sah. Von ihnen ging eine unbeschreibliche Wirkung aus. Sie wandte sich von ihm ab und überholte ihn, bevor er auf die Idee kam, die Brille abzunehmen. »Keine Bange, Eric. Ich werde niemandem Ihre Geheimnisse verraten, dennoch werde ich Forschungen anstellen. Es wäre sträflich, das zu unterlassen. Sie werden mich umbringen müssen, um das zu verhindern.« Im gleichen Moment dachte sie daran, dass es kein sehr guter Einfall war, ihn auch noch auf solche Ideen zu bringen. »Was ist nun mit dem Gegenmittel?«, lenkte sie ab.
    »Nichts. Ich fürchte, das ist nichts weiter als ein Aberglaube.«
    »Reden wir bei Aberglauben von dem gleichen Aberglauben, der auch die Legenden über Werwölfe immer als wahrhaftig verkauft hat? Vom Aberglauben früherer Zeiten, der in unserer rationalen Welt belächelt wird?«, gab sie schneidend zurück. Die Gedanken an Vampire und andere Monster aus Mythen verdrängte sie rasch. Was, wenn auch dieser belächelte Aberglaube einem urplötzlich mit Zähnen und Klauen ins Gesicht springen würde? Nur nicht darüber nachdenken. Werwölfe genügten ihr vollauf.
    Eric zuckte mit den Achseln. »Selbst wenn ich wollte, könnte ich Ihnen nicht mehr sagen. Ein Papier mit irgendeiner ominösen Formel, das mein Vater besaß und auf dem seine größten Hoffnungen ruhten …« Eric stockte. Wenn er ihr gestand, dass er einen Teil der Rezeptur besaß, würde sie erst recht forschen wollen. Damit verschwendete sie seine und ihre Zeit, und sie könnte ungewollt Aufmerksamkeit erregen. »… ist in den Trümmern unseres Hauses verbrannt.«
    »Das Haus in Sankt Petersburg?«
    »In München«, sagte er. »Es war ein Rezept aus dem achtzehnten Jahrhundert. Nicht mehr als ein altes Stück Papier, kurz vor der Auflösung. Unleserlich.«
    Sie näherten sich dem Haupteingang des Parks, der Eric unweigerlich an eine dieser Spaßfabriken mit renommierten Namen denken ließ, in denen man von überlebensgroßen Plüschmaskottchen und überteuerten Preisen genervt wurde. Was würde passieren, wenn bekannt würde, welches Wesen diese Wälder beherbergten? Er sah vor seinem inneren Auge, wie gewiefte Geschäftsmänner das Grauen zu einer noch größeren Touristenattraktion nutzen würden. Wie sie Puppen in Werwolfsgestalt durch den Park laufen und rot gefärbtes Popcorn verkaufen ließen.
    Er bezahlte den Eintritt und nahm von der Kassiererin den mehrsprachigen Merkzettel entgegen. Es war so ziemlich alles verboten – vom Abweichen von den gekennzeichneten Wegen über das Hinterlassen von Müll, Feuer machen und Füttern der Tiere. Man achtete sehr gut auf die Natur, die, im Gegensatz zu weiten Teilen der Bevölkerung, den Bürgerkrieg gut überstanden hatte. Ganz unten auf dem Zettel wurde noch einmal betont, dass man auf keinen Fall von den Wegen abweichen sollte, da Teile des Parks in Kriegszeiten vermint gewesen waren. Und in diesem Guerilla-Krieg waren nicht alle Minenfelder markiert und später geräumt worden.
    Lena und Eric gingen los. Die Spuren im Schnee verrieten ihnen, dass es im Winter nur wenige Besucher hierher zog, obwohl das Naturschauspiel um diese Zeit besonders aufregend war. Die Schneedecke um sie herum war über weite Strecken jungfräulich.
    »Kann es sein, dass Sie gar nicht daran interessiert sind, die Wandelwesen zu heilen?«, fragte Lena. Als Wolfsforscherin, die Vorurteilen mit wissenschaftlichen Tatsachen zu begegnen trachtete, war sie von Erics Kompromisslosigkeit

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