Ritus
ihr beide die größten Unannehmlichkeiten eures Lebens erfahrt.«
Der Moldawier spuckte aus; dann rief er, wenn auch ohne Freude in der Stimme: »Hurra! Lang lebe König Louis der Fünfzehnte, der uns den ehrenwerten Lieutenant de Beauterne sandte und uns von der Bestie befreite!« Er schaute zu de Beauterne. »Wann bekomme ich meine zehntausend Livres, mon seigneur ?«
»Weshalb sollten sie Euch zustehen?«
»Ich habe das Tier erschossen, erinnert Ihr Euch, mon seigneur ? Ihr standet keine vier Schritte daneben und ludet nach Eurem Fehlschuss nach.«
»Ihr irrt Euch«, antwortete ihm de Beauterne schroff. »Ihr gehörtet zu meinem Kommando und unterstandet somit dem König, und damit habt Ihr kein Anrecht auf die Belohnung.«
Malesky verneigte sich. »Merci beaucoup, mon seigneur.« Die Stimme troff vor Ironie. Gefährlicher Ironie.
Jean machte einen Schritt vorwärts auf die Beal-Schlucht zu, aber de Morangiès hielt ihn hart am Arm fest. »Und Ihr werdet da nicht hineingehen, Chastel, es sei denn, Ihr wollt auf unbestimmte Zeit Gast in einem Verlies sein. Ihr wisst ja, wie es darin aussieht. Und der Richter sagte zu Euch gewiss, dass Ihr nicht noch einmal mit Milde rechnen dürft.« Der Griff war schmerzhaft, ungewöhnlich kräftig. »Es ist die Bestie, die dort liegt, verstanden, Monsieur?« Er ließ Jean los und ging zu den Treibern.
Pelissier brachte dem Lieutenant eine Tasche, aus welcher er Münzen nahm und jeden der Männer großzügig entlohnte. Sie alle mussten schwören, überall vom Ende der Bestie zu erzählen.
Schließlich brachen sie auf. Der Wolfskadaver wurde auf eine aus Ästen und Stämmchen gebaute Bahre gelegt und aus dem Wald gezogen. »Ich bringe ihn ausgestopft an den Hof des Königs nach Versailles. Die Überfälle auf Kinder und Frauen sind vorüber«, verkündete de Beauterne laut und wurde von den Umstehenden bejubelt. »Der König ist stolz auf euch, Männer des Gevaudan!«
Jean verfolgte den Comte de Morangiès mit bösen Blicken. »Das hier ist nichts als ein einziges großes Theater«, sagte er niedergeschlagen und warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf den Eingang der Schlucht. Die Bestie beobachtete ihn und Malesky, er spürte ihren Blick. Sie wusste, dass es kein Entkommen für sie gäbe – und weidete sich nun an der hilflosen Wut ihrer erbittertsten Jäger.
Das Verlangen, sich über das Verbot des Comte hinwegzusetzen, war stark, aber die Vernunft bewahrte ihn davor, diesen Fehler zu begehen, der ihn schnurstracks zurück in den Kerker von Saugues führen würde, den er zur Genüge kannte. Dann wären seine in der Hütte angeketteten Söhne dem Hungertod preisgegeben, oder sie würden sich irgendwie befreien und zu unkontrollierbaren Bestien werden, die schlimmer als jemals zuvor in der Region wüteten. Jean entspannte die Hähne seiner Muskete, schulterte sie und ging am Schluss des Zuges durch den Wald. »Ich wette, dass diese ganze Jagd inszeniert war.«
»Ihr denkt, dass jemand den Wolf in die Schlucht gebracht hat, damit wir ihn dort finden und erlegen?« Malesky verzog den Mund. »Das ist eine gewagte Aussage, Monsieur. Es würde bedeuten …«
»… dass die Menschen sich in Sicherheit wiegen und dennoch so gefährdet sind wie zuvor«, vollendete er mürrisch. »Ein Schauspiel, um de Beauterne und damit den König triumphieren zu lassen.« Er beobachtete de Morangiès, der neben dem Lieutenant ritt und mit ihm sprach. Ihn befiel die Ahnung, dass der Comte dahinter steckte. War es von vornherein sein Plan gewesen, de Beauterne ebenso wie Duhamel und die Dennevals als Versager zu präsentieren, damit er selbst endlich an die Spitze der Jäger gelangte?
»Hören wir mit den Spielchen auf, Monsieur Chastel«, schlug der Moldawier vor, während er das Treiben beobachtete. »Ihr jagt ebenso wenig einen normalen Wolf wie ich.«
Bevor er ihm antworten konnte, kam Jacques zu ihnen. Das Strahlen in seinem jugendlichen Antlitz verriet, dass er den Lügen des Gesandten Glauben schenkte und den Tod der Bestie für sicher hielt. »Ein herrlicher Tag!«, jubelte er überschwänglich. »Wir haben sie getötet.«
»Ja, wir haben sie getötet«, sagte Malesky, nahm seinen Zwicker von der Nase und säuberte ihn am Jackenaufschlag. »Was hätten wir nur ohne diesen Teufelskerl de Beauterne gemacht, der Duhamel und die Dennevals mit seinem Erfolg erniedrigt und sie wie dumme Schuljungen aussehen lässt«, setzte er voller beißender Ironie hinzu. »Wahrlich, dieser
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