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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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zu halten. Er machte den bemitleidenswerten Pierre aus lauter Boshaftigkeit glauben, er sei ebenfalls ein Garou, indem er ihm das Blut der Opfer an den Mund und an die Kleider schmiert, wenn Pierre von einem seiner Krankheitsanfälle heimgesucht wurde.« Es sah Jean ernst an. »Der Garou übernimmt Euren Sohn Antoine immer mehr, bis aus dem Menschen, den ihr früher kanntet, endgültig ein Wolf geworden und er durch und durch verdorben ist. Unwiderruflich, fürchte ich.«
    »Was immer Ihr sagt, Monsieur Malesky, ich muss Euch glauben«, meinte Jean niedergeschlagen. »Ihr seid ein Kenner, wenn es um die Eigenheiten der Kreaturen geht. Aber ich weiß auch, dass Antoine immer alles andere als ein hilfsbereiter, freundlicher Mann war. Er hatte schon lange finstere Neigungen.«
    »Und das lässt ihn zu einem der schlimmsten Garous werden, weil das Böse leichtes Spiel mit ihm hat.« Malesky nahm den Zwicker vom Nasenrücken und schlug Pierre auf die Schulter. »Monsieur, wie fühlt Ihr Euch?«
    »Seltsam«, gestand der. »Ich bin also kein Garou, aber dennoch von einer Krankheit befallen, die mir die Sinne raubt und Fieber bringt? Das macht es für mich nur wenig besser.« Er lächelte schwach. »Aber Ihr habt Recht. Mir ist eine Last von der Seele genommen, die so schwer wog, dass ich bisweilen dachte, von ihr durch die Erde bis in die Tiefen der Hölle gedrückt zu werden. Nun entschuldigt mich …« Pierre erhob sich und ging mit unsicheren Schritten zur Kammertür. »Mit dem Fluch ist es endgültig vorbei«, sagte er wie zu sich selbst, »und ich kann Florence …« Er schwieg eilends und wollte in sein Bett flüchten, aber Jean hatte genau hingehört.
    »Florence? Triffst du dich noch immer mit dem Mündel?«, brauste er auf. »Lass sie in Ruhe, sie ist nichts für dich.«
    »Weshalb, Vater?« Pierre stützte sich am Kamin ab und wandte sich ihm zu. »Weshalb ist sie nichts für mich? Weil sie in einem Kloster aufwuchs?«
    »Sie ist … von den Nonnen verzogen worden.« Sein Einwurf wirkte eher halbherzig. »Sie ist dem Leben im Gevaudan nicht gewachsen, sie hat keine Kraft und kann nichts von dem, was eine Frau können muss.«
    »Ich habe eine Neuigkeit für dich, Vater.« Die Gewissheit, kein Loup-Garou zu sein, wirkte befreiend auf Pierre. Er fühlte sich mutig und stark genug, von seinen Plänen zu erzählen. »Sobald wir die Bestie erlegt haben, gehen Florence und ich von hier fort. Wir hassen diesen Ort. Er bietet uns nichts. Wir wollen in den Norden gehen …«
    »Hat sie dich also schon mit ihren Flausen verdorben?«, brach es aus dem fassungslosen Jean hervor. Er schlug mit den Fäusten auf den Tisch. »Was wollt ihr im Norden?«
    »Ich werde mir eine Anstellung als Wildhüter suchen, und Florence wird Lehrerin. In einem Dorf oder bei irgendwelchen Adligen oder auch einer reichen Bürgerfamilie«, erwiderte Pierre trotzig. »Ich will nicht mit dir darüber streiten, Vater. Florence und ich haben uns einander versprochen. Nichts wird uns mehr trennen.«
    Jean zwang sich zur Ruhe. »Wir werden sehen. Geh nun zu Bett, deine Wunden brauchen Ruhe, und das wird nicht geschehen, wenn du dich aufregst.« Er hob die Hand zum Zeichen, dass er Pierre aus der Unterredung entlassen hatte, und wandte sich an Malesky: »Ich danke Euch für Euren Einsatz, Monsieur. Ich stehe von nun an in ewig währender Schuld. Solltet Ihr mich heute, in einem Jahr oder in zehn Jahren benötigen, lasst es mich wissen und ich werde zu Euch kommen und Euch behilflich sein, wobei auch immer.« Er streckte die Hand aus, und der Moldawier schlug ein.
    »Ich danke Euch, Monsieur Chastel, und gleichzeitig versichere ich, dass ich mir Mühe geben werde, Euch niemals an diese Orte zu bitten, an denen ich mich gewöhnlich herumtreibe, falls ich nicht gerade im Gevaudan bin.« Die Tür zur Schlafkammer der Söhne fiel zu, Pierre war gegangen. »Und wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, Monsieur, lasst Euren Sohn gewähren.«
    »Warum sollte ich?«
    »Weil er es sonst ohne Euer Einverständnis tun wird, und das wird euch beide furchtbar belasten«, sagte er und gähnte unterdrückt. »Ich schlage vor, wir besuchen morgen Saint Grégoire und lassen die ehrwürdige Äbtissin nach Pierres Fieber schauen.« Weil Malesky die nahende Ablehnung erahnte, fügte er rasch noch eine Erklärung hinzu, mit der es Jean unmöglich wurde, die Stippvisite abzulehnen. »Wenn sich jemand aufs Heilen von rätselhaften Krankheiten versteht, dann die Nonnen. Zudem

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