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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Mal, nun noch eingehender. »Nein«, sagte er. »Entweder besaß sie zwei Waffen oder …«
    »Monsieur Malesky, mein Verstand war noch benommen, aber ich habe sie genau vor mir gesehen.« Pierre bestand unerschütterlich auf seiner Geschichte, und diese Hartnäckigkeit führte dazu, dass der Moldawier seinen breiten Silberdolch zückte.
    »Das kann wehtun, mehr als sonst, Monsieur«, warnte er ihn vor, »aber glaubt mir, es ist notwendig!« Er setzte die Spitze auf den Unterarm und ritzte die Haut.
    Pierre verzog nur mäßig das Gesicht.
    »Waren wir so davon überzeugt, dass Ihr ein Loup-Garou seid, dass wir die Zeichen nicht sahen, die für Eure Unschuld sprechen?« Malesky staunte und senkte den Dolch wieder auf Pierres Arm. »Verzeiht mir, dass ich Euch foltere, aber es scheint fast, als müsstet Ihr nicht länger in diesem Gewölbe verbleiben.« Mit diesen Worten stieß er den Silberdolch fingerkuppentief in den Arm. Pierre stöhnte auf und biss die Zähne zusammen. Malesky zog die blutige Klinge zurück und beobachtete das Blut, das rot im Schein der Lampen glitzerte. Und sonst geschah … nichts.
    »Bei der Heiligen Mutter Gottes!«
    Er stand eilends auf und wiederholte das Experiment bei Antoine. Das Ergebnis war ein deutlich anderes.
    Eben noch bewusstlos, riss Jean Chastels anderer Sohn die Augen auf, das Grün um die Pupille entflammte regelrecht und verwandelte sich in dunkles Rot. Er schrie gellend auf, zog den getroffenen Arm zurück und schlug mit dem anderen nach dem Angreifer. Der laute Schrei ging über in einen wütenden Knurrlaut; er senkte den Kopf und schaute hasserfüllt auf Malesky, der vor ihm zurückwich und sich neben den Wildhüter stellte.
    »Löst Pierres Ketten und sucht gleich morgen einen Heiler auf, der ihn wegen des rätselhaften Fiebers behandelt«, empfahl er. »Er ist gewiss kein Wandelwesen.«
    Jean lachte fassungslos auf, er konnte das Gehörte nicht begreifen. »Das sagt Ihr mir nach zwei Jahren?«
    »Ihr habt bei mir niemals auch nur den Hauch eines Zweifels aufkommen lassen, dass Ihr Pierre nicht für einen Garou haltet«, verteidigte sich Malesky und hob den Dolch, an dem das Blut Antoines haftete und sich zischend in eine trocknende braune Kruste verwandelte. »Antoine gehört zu ihnen. Pierre nicht.«
    Jeans Augen füllten sich mit Tränen. Er ging zu Pierre und warf sich schluchzend in dessen Arme, herzte ihn und spürte, wie sich die Erleichterung seines Sohnes ebenfalls in einem Strom aus Tränen Bahn brach. Antoine dagegen beruhigte sich gar nicht mehr, riss an seinen Ketten und hätte sich in seiner menschlichen Gestalt auf die drei Männer gestürzt, wenn es ihm möglich gewesen wäre.
    Sie stiegen nach oben, schoben neue Bretter über die Luke und stellten den kleinen Wagen des Wildhüters darauf, damit sie wenigstens mit etwas beschwert wurden und für Antoine, sollten die Ketten oder die Halterung aus der Wand brechen, ein Hindernis boten.
    In der Hütte angelangt, versorgten sie Pierres Stichverletzungen.
    »Ich kann es immer noch nicht begreifen«, sagte er, während Malesky mit Nadel und Faden das Fleisch vernähte. Die Routine, mit der er es tat, ließ die beiden Chastels vermuten, dass er die Nadel schon sehr oft in seinem Leben zu diesem Zweck geführt hatte. »Ich bin kein Loup-Garou, obwohl mich die Bestie an jenem Tag ebenso verletzte wie meinen Bruder? Und warum«, er biss die Zähne zusammen, als der Moldawier eine empfindlichere Stelle in der Haut getroffen hatte, »war ich so oft mit Blut besudelt, wenn ich wieder zu mir kam, und sah nicht anders aus als Antoine?«
    »Monsieur Chastel, erzählt mir ganz genau, was damals geschehen ist«, bat Malesky. Er erfuhr nun in allen Einzelheiten von dem Kampf. Immer wieder nickte er. »Hätte ich das gleich gewusst, wäre es mir früher aufgefallen. Nur der Biss eines Wandelwesens macht dich zu einem von ihnen. Die Wunden ihrer Klauen sind schmerzhaft und tödlich, wenn sie dich richtig treffen. Sie verheilen langsam und schmerzhaft, manches Mal auch gar nicht, aber man wird nicht zu einem Diener der Hölle.« Er zog die Nadel ein letztes Mal durch die Haut, biss den Faden ab und goss einen großzügigen Schluck Cognac über die Wunden, was den überraschten Pierre aufstöhnen ließ. »So, jetzt kann es heilen.« Malesky setzte die Flasche an die Lippen und trank den Rest. »Es lehrt uns aber, dass Euer Sohn Antoine, Monsieur Chastel, in seiner Tiergestalt sehr wohl in der Lage ist, seine Gedanken beisammen

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