Ritus
davon.
Eine ihrer um sich schlagenden Hände bekam Stoff zu fassen, und sie krallte sich hinein, zog aus Leibeskräften daran. Der Druck auf ihrem Kreuz wich. Keuchend und nach Luft ringend, tauchte sie auf. Kaum hatte sie einen langen Atemzug genommen, warf sich der Angreifer wieder gegen sie. Eine Klinge blitzte in seiner Faust.
Florence nahm ihn nur undeutlich durch den Wasserschleier vor ihren Augen wahr: ein Mann um die vierzig Jahre, kräftig, aber klein von Gestalt. Er trug einen Schal vor dem Gesicht, um sich unkenntlich zu machen. Instinktiv und schneller, als sie für möglich gehalten hatte, wich sie dem Schlag aus.
Wütend trat der Mann nach ihr, wieder entkam sie dem Angriff – und trat dem Mann mit aller Kraft in den Schritt. Er klappte aufstöhnend zusammen, gab aber nicht auf. Florence kam auf die Beine und versuchte davonzulaufen, aber sie fiel über den Eimer in den Schlamm. Im nächsten Moment spürte sie den Schlag und den heißen Schmerz, der in ihren Rücken links neben der Wirbelsäule fuhr. Der Mann hatte sie erwischt. Aufschreiend rutschte sie vorwärts, wälzte sich herum – und bekam das Messer unterhalb der Brust in den Leib gestoßen! Die Schmerzen waren so unbeschreiblich, dass Florence auf einmal wie gelähmt im Schmutz lag, unfähig zu schreien, unfähig, sich zu wehren.
Der Mann trat ihr brutal ins Gesicht, so dass ihr Kopf nach hinten schlug, doch sie bemerkte es kaum. Er beugte sich über sie und riss ihre Kleidung auf. Die Finger fuhren über sie, packten ihre Brüste, schienen nach etwas zu suchen – dann schaute er plötzlich nach rechts, von wo laute Rufe erklangen. Bei dieser Bewegung verrutschte sein Schal.
Florence erkannte ihn.
Er gehörte zu den Leuten des Comte de Morangiès!
Hastig sprang er auf und rannte davon.
Florence starrte, immer noch wie gelähmt, in den grauen Herbsthimmel, fühlte ihr warmes Blut an sich herablaufen. Endlich schwebte Schwester Rogatas Gesicht über ihr, dann wurde sie ohnmächtig.
XXVIII.
KAPITEL
1. Oktober 1766, im Wald von T énazeyre, Südfrankreich
Die Ketten spannten sich mit einem gewaltigen Ruck, es klirrte laut, und Malesky brachte sich mit einem Sprung vor den heranfliegenden Fäusten in Sicherheit. Die Halterungen im Stein knirschten, Granitstaub rieselte auf den Boden des Kellergewölbes.
»Lasst mich gehen!«, heulte Antoine mehr als er sprach. »Ich ertrage es nicht länger, ein Gefangener zu sein! Ich will zu ihr! Sie ruft mich.« Er warf sich mit seinem gesamten Körpergewicht nach vorn und knurrte wie ein Raubtier. Speichel rann aus dem Mund. »Ich schwöre, dass ich ausbreche und noch mehr töten werde als vorher, wenn ihr mich nicht freilasst«, tobte er. »Ich bin zu stark für euch. Mit ihr zusammen beherrsche ich das Gevaudan, die Menschen werden uns freiwillig Opfer bringen.«
Malesky betrachtete den jungen Mann, in dessen Gebaren kaum mehr etwas Menschliches steckte, durch die getönten Brillengläser und notierte seine Eindrücke: Zum ersten Mal erhielt er die Gelegenheit, einen Loup-Garou in Gefangenschaft zu beobachten und zu befragen. Der Garou hat ihn fast vollständig durchsetzt. Lange wird es nicht mehr dauern, dann ist er für immer für uns verloren, stellte er fest.
Das Gezeter war inzwischen in unverständliches Heulen, Knurren und dunkles Bellen übergegangen.
»Monsieur Chastel, versteht Ihr mich noch?« Malesky sah, wie Antoine auf die Knie fiel, sich zusammenkrümmte und sich in die Tiergestalt verwandelte, in der Hoffnung, auf diese Weise besser seinen Fesseln entfliehen zu können.
Krachend verformte sich der Körper. Die Knochen verschoben und streckten sich, während die Muskeln anschwollen und ein Fell aus dem eben noch haarlosen Leib wuchs. Der Kopf wurde breiter, eine lange Schnauze wuchs knackend heraus. Antoine wälzte sich am Boden, er zuckte und schrie. Oder besser gesagt, er versuchte es. Heraus kamen dabei furchtbare Laute, die fast das Blut zum Stocken brachten.
Der Moldawier verfolgte gebannt und abgestoßen zugleich, wie sich die Zähne neu anordneten. Die Fänge, so kam es ihm zumindest vor, waren länger als noch vor drei Monaten. Antoine wandelte sich immer mehr zu einem perfekten Abbild der Bestie. Seine Tiergestalt schien von Mal zu Mal größer und kräftiger zu werden.
Wie gelingt ihm das?
»Monsieur Chastel?« Der Moldawier begutachtete rasch den Sitz der neuen Hand- und Fußeisen, aus denen es noch kein Entrinnen gegeben hatte. Auch dieses Mal machten sie
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