Ritus
Mensch tarnt und in einen Leib hüllt, bevor sie daraus hervorbricht und ihre Opfer verschlingt.« Er betrachtete die Pilger. »Es käme doch – abgesehen von mir und meinen Männern – jeder in Betracht, oder? Sogar Ihr. Oder Eure Söhne.«
Schnell wie eine zustoßende Schlange zuckte sein Arm nach vorne und traf Jeans linke Hand. Es stach unangenehm, und ein Bluttropfen quoll aus der Haut. »Verzeiht, ich wollte eine Wespe verjagen«, entschuldigte sich Francesco. »Sie hatte ihren Stachel in Euch versenkt.«
»Es war keine Wespe.« Jean betrachtete die Wunde. »Was habt Ihr getan?«
Ohne etwas zu sagen, hielt der Legat eine silberne Nadel in die Höhe, an der ein wenig Blut haftete.
»Was soll das?«
»Eine Probe, Monsieur Chastel. Es ist meine Aufgabe, die ich vom Pontifex selbst erhalten habe, die Bestie ausfindig zu machen.« Er streifte das Blut am Ärmel des Wildhüters ab. »Ihr seid es nicht. Kann ich wohl mit Euren Söhnen sprechen?«
»Nein. Dazu gibt es keinen Grund.« Jean zwang sich, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Geht und sucht die Bestie, wo Ihr wollt.«
»Das werde ich tun. Habt Ihr sie neulich bei der ehrwürdigen Äbtissin gesucht, Monsieur Chastel?« Francesco hob amüsiert eine Augenbraue. »Der Sohn einer Hexe bei einer Frau des Glaubens. Welche Anschuldigung, denkt Ihr, kann ich daraus gegen Euch und die liebe Gregoria flechten?«
»Verschwindet, Jesuit.«
»Ich entscheide, wann ich gehe und wann nicht.« Francesco ließ sich nicht beirren und schaute über die Menge der Gläubigen. »Ist es nicht wundervoll anzuschauen? Die Macht Gottes hat sie zusammenfinden lassen«, sagte er selbstzufrieden. »Sogar die Adligen haben sich heute zu uns gesellt. Noch scheint das Gevaudan also nicht an die Hölle verloren zu sein.« Er wandte sich wieder direkt an Jean. »Sagt, wie gut kennt Ihr den jungen Comte de Morangiès? Ich sehe ihn gar nicht hier. Was mich nicht verwundert, bei seinem … Lebenswandel.«
»Ihr habt Eure Nase tief in den Dreck gesteckt.« Er wollte rechts am Legatus vorbeigehen.
»Ich höre und sammle, wie es meine Aufgabe ist.« Francesco stellte sich ihm unauffällig in den Weg. »Wisst Ihr, dass sich der Comte für Euch eingesetzt hat? Als Ihr im Gefängnis saßt?«
»Ich weiß davon nichts und würde seine Hilfe auch nicht annehmen.«
»Das ahnte er anscheinend. Deswegen hat er es hinter Eurem Rücken getan. Er und Euer jüngerer Sohn teilen ein Stück Vergangenheit, nehme ich an. Ein Stück Vergangenheit, die am Mittelmeer ihren Anfang nahm. Aber durch die Fügung des Herrn tun sich Pforten des Wissens auf, die manch anderen verschlossen bleiben.«
Jean beherrschte sich, doch es erschreckte ihn, dass ein Fremder, ein offensichtlicher Feind, mehr über die Ereignisse in Antoines Leben wusste als er selbst. »Ich weiß nicht, was Ihr meint«, erwiderte er lahm.
Francesco kniff die Augen zusammen. »Ein schwacher Versuch, mir zu entkommen, Monsieur Chastel. Ich weiß mehr über Euch und die Menschen um Euch herum, als Ihr ahnt.«
»Und wieso unternehmt Ihr nichts, anstatt mich mit Euren Worten zu langweilen?« Jean ging an ihm vorbei. »Gebt Acht, wenn Ihr durchs Unterholz kriecht. Es wird schnell geschossen und dann erst geschaut, was getroffen wurde.«
»Keine Sorge, Monsieur Chastel. Ich greife immer von hinten an.« Der Legatus berührte den Dreispitz und kehrte um.
Gregoria sah, dass sich die Männer unterhalten hatten und Jean nun seinen Weg fortsetzte. »Achte darauf, dass genügend Wasser für die Segnungen vorhanden ist«, befahl sie Schwester Magdalena. »Ich schaue nach dem Brot für die Bedürftigen. Die Lieferung müsste schon längst angekommen sein.«
Sie eilte davon, um den Wildhüter abseits der vielen Augen und Ohren abzufangen und mit ihm zu reden. Sie drängte sich durch die Besucher der Wallfahrt, bis sie seine Gestalt auf dem schmalen Weg sah, der in Richtung Besseyre führte. Von den Männern des Legatus entdeckte sie keine Spur.
Sie lief schnell, dennoch dauerte es eine Zeit. Sie erreichte ihn in einer Senke des schlechten Weges. Kurzerhand packte sie seine Hand und zog ihn seitlich vom Pfad in den Schutz eines Ginstergebüschs.
Bevor sie etwas sagen konnte, drückte er seine Lippen auf ihre, seine Hände streichelten ihren Hals und ihr Gesicht. Gregoria erbebte. »Halt«, verlangte sie schwach. »Jean, ich muss dir etwas erzählen.«
Der Tonfall brachte ihn dazu, von seinen Liebkosungen abzulassen und sie zärtlich von sich
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