Ritus
schoss nach ihr, verfehlte sie und wurde von der Wucht ihres Aufpralls nach hinten geschleudert. Sie brachen durch zwei Glasvitrinen, Splitter und altägyptischer Schmuck regnete um sie herum. Upuaut kauerte auf ihm, eine Hand hielt seine Kehle gepackt, die andere wühlte in dem Durcheinander nach einem Zierdolch – und rammte ihn durch Erics Schulter.
Aufschreiend hielt er die P9 mitten in das Gesicht der Frau. Im gleichen Moment sah er, dass der Schlitten der Waffe unbeweglich in seiner hinteren Position verharrte und neue Munition verlangte: Das Magazin war leer!
Knurrend stach sie ein weiteres Mal zu und traf ihn knapp neben dem Herzen. »Du hast mir meine Tochter genommen«, schrie sie und versuchte, nach seiner Kehle zu schnappen.
Eric ließ die wertlose P9 fallen. Panisch tastete er umher, bekam eine lange Glasscherbe zu fassen und rammte sie Upuaut in den geöffneten Mund. Die Frau zuckte aufheulend und mit zerschnittenen Wangen zurück. Dieser Moment genügte Eric, um den Arm mit der Glock zu heben und die Mündung auf ihren Kopf zu richten. Er drückte ab – und die Silberkugel brachte Upuaut den Tod. Merkwürdig steif kippte sie nach links von ihm herab und blieb liegen. Kein Aufbäumen, kein Zucken.
Tot.
Eric kümmerte sich nicht um seine Verletzungen, sondern richtete sich auf, Splitter klimperten zu Boden. Er rutschte auf Knien zu seinem Vater, obwohl er nicht die mindeste Hoffnung hegte, dass er noch lebte. Glaser-Munition arbeitete gründlich.
Es gab keine Wunder, keine Ausnahmen. Nach zweiundfünfzig Jahren starb Johann von Kastell ohne Lohn und Anerkennung für seine Taten und ohne Worte des Abschieds an seinen Sohn.
Eine Träne rann über Erics stoppelige Wange. Scheu berührte er das blutverschmierte Gesicht des Toten. Sie hatten immer darüber gesprochen, dass es eines Tages einen von ihnen erwischen konnte. Aber nicht so. Nicht so! Das Wesen hatte ihn dazu gebracht, seinen eigenen Vater zu erschießen.
»Scheiße, Papa. Verdammte Scheiße«, flüsterte er geschockt. Sein Vater war tot, sein Mentor; der langjährige Ausbilder in Kampfkunst und Wissen war dem eigenen Schüler zum Opfer gefallen.
Eric wischte sich mit dem Ärmel den Rotz unter der Nase weg. Seine feuchten, hellbraunen Augen wanderten zu Upuaut, die aussah wie eine ganz normale Tote. Ebenso wie die anderen Leichen. Für neunundneunzig Prozent der Welt gab es keine Wandelwesen. Auch nicht für die Polizei. Und das war der Grund, weshalb er sich zusammenriss. Von nun an lief Plan B, musste anlaufen, so schwer es ihm auch fiel, seinen Vater zurückzulassen. Sie hatten genau besprochen, was zu tun sei, wenn einer von ihnen auf der Jagd starb. Genau so musste er handeln. Trauern konnte er später in der Sicherheit seines Zuhauses.
Eric stemmte sich auf die Füße, fuhr seinem Vater noch einmal über die Wange – und ging.
In der ersten Toilette, die er fand, wusch er sich die Handschuhe ab. Lack war exzellentes Material. Danach ging er die Treppe hinunter, zog die beiden Bodyguards ins Haus und erledigte sie mit schlecht gezielten Schüssen. Dem einen zwang er seine Bernadelli, dem anderen seine Glock und die nachgeladene P9 in die Hände, drückte zweimal ab, damit die Spurensicherung passende Schmauchspuren fand und verließ das Haus. Wahrscheinlich würde sich die Polizei über die Beschaffenheit der Kugeln wundern. Aber das war nicht sein Problem.
Eric fuhr los, atmete tief und gleichmäßig ein und aus. Dann rief er bei der Polizei an und gab ihnen, sehr überzeugend den besorgten Sohn spielend, den Hinweis, dass Johann von Kastell in der Hand von Entführern sei und die Lösegeldübergabe gescheitert war.
Der Polizist leitete seinen Anruf unmittelbar weiter. Es war, als hätte man ihn erwartet. »Mein Name ist Breitwangler, LKA Bayern. Es tut mir sehr Leid, Herr von Kastell … wir haben noch eine schlechte Nachricht für Sie«, sagte ein Kriminalbeamter. Seiner Stimme hörte man an, dass es ihm unangenehm war, diese Unterhaltung zu führen.
» Noch schlechter?«, fragte Eric bitter; er hörte Tuscheln im Hintergrund.
»Kommen Sie bitte vorbei. Wir möchten es Ihnen persönlich sagen und mit Ihnen sprechen.«
»Reden Sie, Herr Breitwangler.«
Kurze Stille. »Herr von Kastell, was tun Sie im Moment? Sitzen Sie am Steuer eines Fahrzeugs? Falls ja, dann …«
»Ich kann damit umgehen. Hören Sie, mein Vater wurde entführt und ich fürchte um sein Leben. Was kann schlimmer sein? Also sagen Sie mir, was
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