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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Sache ist!«
    »Herr von Kastell, wir haben hier einen sehr guten psychologischen Betreuer, der …«
    »Verdammt, was?«, rief er. Seine Finger spannten sich um das Lenkrad des Cayenne.
    »Das Haus Ihrer Familie … Es haben sich laut Nachbarschaft mehrere Explosionen ereignet. Unsere Experten gehen der Sache nach, aber es spricht schon jetzt alles dafür, dass es sich nicht um einen Unfall gehandelt hat.«
    »Bomben?«
    »Dazu kann ich noch nichts sagen.« Der Mann räusperte sich bedrückt. »Sagen Sie, hatte Ihr Vater Feinde?«
    »Keine Ahnung. Ich … ich melde mich später bei Ihnen.« Eric unterbrach die Verbindung.
    Hätte er hunderte sagen sollen?

III.
KAPITEL
    24. Dezember 1764, das Dorf Chaulhac, S üdfrankreich
     
    Die Gipfel der drei Berge, des Montmouchet, des Montgrand und des Montchauvet, zierten eisige Kronen. Schnee hatte sich über die einsamen, bergigen Grasebenen des Gevaudan gelegt. Auch die dichten Birken- und Buchenwälder wurden von dem Weiß bedeckt, das nach einem kurzen Herbst unerbittlich aus den Wolken fiel. Brutale Stürme peitschten die Flocken mit solcher Wucht umher, dass es wehtat, wenn sie ins Gesicht trafen. Die Bewohner der Region wurden in den Schutz ihrer Häuser getrieben. Die robusten Gebäude aus grauen Granitsteinen ertrugen die schwere Last und gewährten Schutz in doppeltem Sinne. Denn auch ohne Schnee hätte sich kaum einer weit aus dem Dorf gewagt. Der Tod ging um. Er schlich auf vier Pfoten durch das Gevaudan, nahm sich auf bestialische Weise Frauen und Kinder. Niemand hatte ihm bislang Einhalt bieten können. Nur die Gemeinschaft vieler oder eine stabile Tür hielten ihn auf.
    Jean Chastel saß in der Nähe der Tür des kleinen Gasthofs. Vor ihm stand eine Holzschüssel mit heißer Suppe, die so dünn war, dass er an den zähen Hammelstücken vorbei auf den Grund des Gefäßes schauen konnte. Dazu trank er einen heißen Gewürzwein, um sich die Kälte aus dem Leib zu treiben, die ihm nach einem Marsch von vier Stunden in den Knochen steckte. Seinen dicken Kutschermantel, den Schal und den Dreispitz hatte er neben die Feuerstelle gehängt, damit sie trockneten.
    Obwohl die Stube fast bis auf den letzten Platz besetzt war, gesellte sich keiner zu dem Wildhüter, an dessen Tisch die beiden letzten freien Stühle standen. Er war ein Chastel, der Älteste der Familie, die einst einen guten Ruf besessen hatte. Das war schon lange nicht mehr so. Er galt als Sonderling, weil er zurückgezogen im Dorf La Besseyre-Saint-Mary lebte und keinen Hehl daraus machte, dass er mit anderen wenig zu schaffen haben wollte.
    Über Antoine, der sich tief im Wald in seiner Hütte verkroch, grassierten schlimme Gerüchte. Jean konnte nicht verleugnen, dass sich sein jüngerer Sohn seit seinem Aufenthalt in Tunesien verändert hatte. Er sprach nicht darüber, weder über die Erlebnisse noch über die Umstände seiner Rückkehr. Jean hatte vom Moment des ersten Wiedersehens an gespürt, dass sich sein Sohn verändert hatte. Er war ein verschlossener, geheimnisvoller Mann geworden, der bei den Dorfbewohnern im Ruf stand, mit Tieren sprechen zu können.
    Pierre hatte im Vergleich dazu Glück. Er lebte in Besset, von wo aus er mit Antoine das Amt des Wildhüters teilte, und galt als umgänglich. Wenigstens einer aus der Familie.
    Die Tür wurde aufgestoßen. Der eisige Wind zwang zwei Dragoner in das Wirtshaus, die unter der dicken Schneeschicht kaum als Soldaten zu erkennen waren. Sofort wurde es leiser in der Schankstube.
    Den Winter verfluchend, kamen sie direkt zu Jeans Tisch und warfen dem herbeieilenden Wirt ihre Umhänge zu. Darunter kamen die blauen, aufwändig gearbeiteten Uniformröcke zum Vorschein, deren Verzierungen, Abzeichen und Knöpfe schimmerten. Sie trugen jeder einen Säbel, ihre Pistolen steckten im Gürtel; die sperrigen Musketen trugen sie in der Hand. Auf den einfachen Bauern oder das ein oder andere Mädchen machten sie gewiss Eindruck.
    Sie setzten sich unaufgefordert, zogen die Hüte ab, lehnten die Musketen an die Wand und verlangten laut nach einem Mahl. Es waren derbe, kräftige Kerle, gerade mal zwanzig Jahre auf dem Buckel, unrasiert, und sie rochen nach Branntwein, obwohl sie in dem Gasthof noch keinen Schluck getrunken hatten.
    »Frohe Weihnachten. Ihr könnt gerne Platz nehmen«, sagte der Wildhüter, ohne sie genauer zu betrachten. »Doch sobald meine beiden Söhne erscheinen, darf ich euch bitten, einen anderen Tisch zu suchen.«
    Die Dragoner wechselten

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