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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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einen amüsierten Blick. »Wir unterstehen Capitaine Duhamel. Wenn er uns befiehlt aufzustehen, tun wir das«, antwortete ihm einer herablassend. »Sonst nicht.«
    »Hat euch der König nicht den Befehl gegeben, den Wolf zu erlegen?«, erwiderte Jean unbeeindruckt und löffelte weiter seine Suppe. »Da ihr hier seelenruhig sitzt, scheint ihr ihn gefunden und getötet zu haben.«
    Der Soldat zu seiner Rechten lehnte sich vor und blickte sich verschwörerisch um. »Das ist kein Wolf. Selbst der Capitaine denkt inzwischen …« Ein Stoß seines Kameraden in die Rippen brachte ihn zum Verstummen.
    »Was soll es sonst sein? Glaubt ihr die Geschichten von einer Bestie?«, erkundigte sich Jean. Nun fiel es ihm schwer, ruhig zu bleiben.
    »Ich schon, Monsieur Chastel!« Ein Mann am Nachbartisch mischte sich ein; seiner ungewöhnlich bunten Kleidung nach gehörte er zur Entourage eines hiesigen Adligen. »Sie hat seit dem Sommer elf Menschen und zahlloses Vieh gerissen. Und ich kenne keinen Wolf, welcher dem Äußeren der Bestie auch nur annähernd ähnelt. Ich stand ihr im Oktober gegenüber, knappe zehn Schritte entfernt tauchte sie vor mir und meinem Freund auf. Groß wie ein Kalb, ein rötliches Fell, Klauen und Fänge, dass es einem Bären bange würde. Wir trugen unsere Gewehre mit uns und wollten für den Marquis d’Apcher jagen. Wir legten auf sie an, die Bestie fiel nach dem Schuss, stand aber wieder auf! Wir feuerten ein zweites Mal, und wieder erhob sie sich und rannte in den Wald.«
    »Dann werdet Ihr sie nicht richtig getroffen haben«, meinte Jean und nahm einen Schluck vom Gewürzwein. Es passte ihm nicht, dass so viel über die Bestie gesprochen wurde.
    »Ich bin Jäger und ein guter Schütze! Wir haben ihr alles in allem sechs Kugeln verpasst, Monsieur Chastel. Sechs!« Der Mann war gekränkt. »Die Blutspur war kaum zu übersehen. Und dennoch, als wir die Verfolgung aufnahmen, war die Bestie schneller als wir.« Er holte Luft und schaute in die gebannten Gesichter seiner Nachbarn. »Sie hat überlebt.«
    »Ein verwundeter Wolf ist schlimm«, lautete Jeans Erklärung. »Er reißt alles …«
    Der Mann schlug mit der Faust auf den Tisch, die Augen funkelten zornig. »Es war kein Wolf!«
    »Habt ihr das von dem kleinen Mädchen in Rieutort gehört, Messieurs?«, fragte der Wirt, als er den Dragonern das Essen brachte. »Es kam allein von den Viehweiden, und seine Mutter sah es schon vom Dorfrand aus. Keine zweihundert Schritte hätte es mehr gebraucht, doch dann schlug die Bestie zu. Vor den Augen der Mutter und zwei Brüdern wurde es zerfleischt. Seine Reste waren kaum noch erkennbar.« Er deutete auf seinen Bauch. »Aufgeschlitzt, von oben bis unten. Die Kopfhaut war abgerissen und über das Gesicht gezogen. Schrecklich, schrecklich! Kein Wunder, dass dreitausendachthundert Livres Belohnung ausgesetzt wurden.«
    »Still jetzt! Solch ein Geschwätz ist der wahre Grund für die Macht des Tiers«, herrschte ihn Jean an. »Die Leute haben vor diesem Wolf schon Angst genug. Bring mir lieber noch einen Gewürzwein.«
    Nun stieg dem Wirt ein triumphierendes Lächeln ins Gesicht. »Ein Wolf? Nein, Chastel. Du als Wildhüter, sag mir: Man fand die Spuren der Bestie am Ufer eines nahen Bachs. Die Spuren erinnerten an die eines Wolfs, und doch waren sie anders. Die Ferse war eigentümlich hervorstehend und flach. Und man sah eindeutige Spuren von Krallen. Wie passt das zusammen?«
    Jean schaute in seinen Suppenrest. »Du hast vergessen, Geschmack hineinzugeben. Dein Essen ist nicht besser als heißes Wasser.«
    »Du kannst mich nicht ablenken.« Der Wirt blieb stehen. »Was für eine Kreatur ist das, Chastel?« Er lächelte herausfordernd. »Du weißt die Antwort nicht? Also glaubst auch du nicht an den Wolf! Wir haben vierundsiebzig von den Graupelzen erlegt, und dennoch tötet die Bestie immer noch.« Er senkte die Stimme. »Du bist das Kind einer Hexe, sagt man. Hat dir deine Mutter beigebracht, welche Dämonen es gibt, die aussehen wie die Bestie?«
    »Ich sage dir, was ich denke: Die Spurenleser haben sich getäuscht, und ihr habt den richtigen Wolf noch immer nicht gefunden. Er ist ein Einzelgänger, der von den Rudeln gemieden wird. Wahrscheinlich ist er ein ehemaliger Leitwolf, der sich dem neuen Herrn der Sippe nicht unterwerfen wollte. Er wurde ausgestoßen, und seine Wut darüber lässt er an uns aus«, antwortete Jean und wandte sich dann an die beiden Dragoner. »Seid ihr zuvor jemals auf Wolfsjagd

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