Ritus
sich mit dem Handschuh durchs Gesicht und verschmierte das Blut Ignatias, anstatt es abzuwischen.
Und so kam es, dass ein winziges Bisschen in seinen Mund gelangte.
Es brannte.
Es brannte wie flüssiges Feuer!
Eric stürzte ins Bad, um die kochende Lava aus dem Mund zu spülen, bevor seine Zähne Feuer fingen. Händeweise schüttete er sich das Nass ins Gesicht, spülte und spuckte, ohne aber den Brand löschen zu können. Im Gegenteil: Es wurde noch schlimmer.
Die Wassertropfen schienen plötzlich in Zeitlupe ins Becken zu gleiten.
Platschten überlaut auf die Keramik.
Der kleine Abluftventilator im Bad dröhnte propellergleich.
Der Abfluss rauschte wie der Plitvice-Wasserfall.
Die Geräusche, die Wahrnehmung, alles verzerrte sich beängstigend. Eric hob sein Gesicht und schaute in das milchig trübe Glas des Spiegels, sah die roten Schlieren auf seinem Gesicht; das verdünnte Blut tropfte aus seinen feuchten Haaren und malte rote Bahnen auf seine Wangen. Seine hellbraunen Augen hypnotisierten ihn selbst. Er glitt durch sie in den Spiegel hinein und tauchte in eine andere Welt.
Es war eine hallenhohe, säulengetragene Welt, in die Licht von allen Seiten fiel. Die Sonnenstrahlen drangen schräg von oben aus unerreichbar fernen Fenstern ein: Es musste ein Palast für Riesen oder Götter sein. Vor ihm stand seine Halbschwester Justine, umgeben von hunderten von Nonnen, die alle das Gesicht von Ignatia trugen. Justine hob die Hand. »Komm«, sagte sie freundlich. Sein Leib bäumte sich auf, eine Macht riss an seinem Innersten, und Eric schrie gellend. Knirschend befreite sich die Bestie aus seinem Körper wie ein Schmetterling aus dem Kokon. Das Wesen wandte sich ihm blutüberströmt zu und grinste, dann ging es zu Justine und gab ihr einen wilden Kuss auf den Mund.
»Nein!«, schrie Eric und suchte seinen Silberdolch. »Ich muss sie vernichten.«
»Hier ist er«, riefen die Ignatias und deuteten auf die Waffen, die in ihren Brüsten steckten. »Aber du benötigst die Hilfe des Herrn, Eric von Kastell. Nur Er wird dich erlösen, niemals du selbst oder ein heidnischer Zauber.« Sie zogen sich alle gleichzeitig die Klingen heraus, und eine Flut aus Blut brach los, schwemmte ihn von den Beinen und ertränkte ihn.
Fast.
Eine starke Hand packte ihn am Mantelkragen, und Eric wurde aus dem Rot gezogen und an die Oberfläche gehoben. Er schwebte frei in der Luft.
Als er sich das Blut aus den Augen gewischt hatte, sah er, dass er am ausgestreckten Arm der Bestie hing. Sie stand auf dem Blut wie Jesus auf dem Wasser, beschienen vom silbernen Licht des Vollmonds, der durch die Fenster brach. »Du bist nichts ohne mich«, grollte sie, und aus der Dunkelheit erschien Lena. Sie war nackt, trat heran und schmiegte sich an die Bestie. »Mein Ende bringt dir Bedeutungslosigkeit. Lass mich in Ruhe.«
»Lass sie ihn Ruhe«, kicherte Lena, ließ sich auf alle viere herab und verwandelte sich in eine Wölfin. »Ich mag sie sehr, Eric. Ich will nicht mehr ohne sie sein.«
»Nein«, flüsterte er. »Nein, Lena! Sie ist niederträchtig, sie tötet ohne Grund! Sieh ihr …«
Mit einem Mal verschwand die unwirkliche Welt, und er erkannte ein Paar hellbraune Augen und bekannte Züge vor sich. Seine Züge.
»… ins Gesicht.«
Jemand pochte laut gegen die Tür. »Hallo? Ist alles in Ordnung?«, rief ein besorgter Hotelangestellter.
»Ja, danke«, antwortete Eric mit verstellter Stimme, und hoffte, dass sie durch die Tür einigermaßen nach einer Frau klang. »Der Fernseher hat verrückt gespielt und ließ sich nicht mehr leiser drehen. Alles in Ordnung.«
»Gut. Verzeihen Sie die Störung«, kam es von der anderen Seite.
Eric wusch den Dolch ab, reinigte seine Kleidung ebenfalls und verließ das Zimmer der Nonnen. Er musste in den Wald, die Bestie und ihre Brut finden. Und auch sein nächstes Ziel stand fest, obwohl er nur diese vage Spur hatte: die Schwesternschaft vom Blute Christi. Die Ewige Stadt.
XXXIII.
KAPITEL
19. Juni 1767, Pfarrei Nozeyrolles, im Ténazeyre-Wald, S üdfrankreich
»O Gott!«, stöhnte Pierre, als sie die Stelle erreichten, an der Maleskys Leichnam in einer Lache aus Blut ruhte. Der Kopf war abgerissen worden und fehlte, die Hand, welche den Silberdolch noch immer umklammert hielt, lag einen Schritt neben dem Moldawier.
»Antoine!«, schrie Jean außer sich. Er sah die rote Spur, die vom Haupt Maleskys stammte und mit der die Bestie einen Wegweiser für sie gelegt hatte, um sie in einen
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