Ritus
Euren Freund, Monsieur Chastel, und unglaublich, mit welcher Dreistigkeit die Fremden auf dem Land meiner Familie vorgingen. Ich werde die Sache untersuchen lassen.«
»Ist Euch einer der Männer entkommen oder habt Ihr sie alle getötet?«, fragte der Comte unvermittelt.
»Ich denke, sie sind tot, mon seigneur .«
Der Comte machte ein missbilligendes Gesicht. »Sehr schade. Man hätte sie befragen können, wie sie auf den Gedanken gekommen sind, dass es die Belohnung noch immer gibt.« Er hob sein Gewehr. »Ich werde sie mir aus der Nähe betrachten. Vielleicht haben sie Dinge bei sich, aus denen wir mehr erfahren.«
Jean hätte sich unter normalen Umständen nichts bei dieser Bemerkung gedacht, aber die Worte Francescos hatten sein Misstrauen in unendliche Höhen geschraubt. Er wurde den Verdacht nicht los, dass der Comte mehr wusste. Mehr über Antoine und sein Geheimnis.
Der Marquis d’Apcher winkte einen Untergebenen herbei und ließ sich seine Waffe reichen. Er schaute zu den Bäumen. »Dann ist die Bestie immer noch im Wald. Gut. Wir …«
Aufgeregtes Rufen erklang vom Waldrand. Zwei Musketen knallten, und sie erkannten einen großen grauen Wolf, der zwischen den Jägern hindurch sprang und geradewegs auf das Zelt zuhielt.
Heilige Maria, sendest du mir das passende Tier zu meiner Lüge? So nehme ich deinen Beistand an.
Jean nahm die Muskete von der Schulter. »Ave Maria, gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir.«
Er zog die Hähne der Waffe nach hinten, während der Wolf immer näher kam, langsamer wurde und sich Jean in seiner ganzen Größe zeigte, als wollte er ihn zu einem Kampf herausfordern.
»Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.«
Er hob die Muskete. Niemand wagte sich sonst zu bewegen.
»Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen !«
Mit dem letzten Wort krachten die Schüsse, und der Wolf brach tödlich getroffen vor den Augen der Adligen und der Jäger zusammen.
19. Juni 1767, in der Umgebung von Auvers, Kloster Saint Grégoire
Gregoria war eben erst aus ihrem Schlummer erwacht, lag in ihrem Bett und lauschte auf Geräusche.
Etwas stimmte nicht.
Was sie störte, war der Umstand, dass sie nichts vernahm: Keine Stimmen, noch irgendeinen anderen Hinweis darauf, dass sich Leben in den Mauern von Saint Grégoire befand.
Sie schaute auf die Uhr an der Wand und sah, dass es Zeit für die Mitternachtsmesse wurde. Warum hatte man sie nicht geweckt? Sie stand auf, zog sich die Tunika an und die Haube über die blonden Haare und bereitete sich vor, die Glocke selbst zu läuten, um die Nonnen in die Kirche zu rufen.
Während sie sich ankleidete, fragte sie sich, was der Legatus als Nächstes beabsichtigte. Jedenfalls hatte er sie nicht nochmals zu sich zitiert, um sie weiter über Jean zu befragen. Anscheinend hatte er andere Quellen aufgetan.
Er und ein Teil seiner Männer waren nach dem Abendbrot im Gästehaus verschwunden, wo er zusammen mit seiner kleinen Streitmacht lagerte. Seither hatte sie niemanden mehr gesehen.
Heilige Jungfrau Maria und heiliger Gregorius, gebt uns euren Beistand. Gregoria trat vor die Tür, rechnete damit, die Wächter zu sehen, und grüßte, ohne hinzuschauen.
Sie stutzte, als sie niemanden vorfand.
Gregoria verstand es als ein Zeichen. Es ersparte ihr, wieder einige ihrer Nonnen um eine Ablenkung zu bitten, damit sie Florence mit Essen versorgen konnte. Dieses Mal würde das gelingen, ohne eine der Schwestern bei dem Legatus in Verdacht zu bringen.
Eilig kehrte sie in ihre Stube zurück, raffte Äpfel, Brot und Käse an sich, die sie dort versteckt hatte, und lief die Treppen hinauf, um sie der jungen Frau zu bringen. Seit dem Frühstück hatte Florence nichts mehr bekommen und war sicher hungrig wie ein Wolf.
Gregoria stieg die letzte Stufe hinauf und bog in den Gang, auf dem sich die Tür zum Zimmer ihres Mündels befand, blieb dann aber unvermittelt stehen und ließ die Arme sinken.
Brot und Käse fielen ihr aus der Schürze, die Äpfel folgten und rollten über den Boden, während die Äbtissin entgeistert auf die zerschlagene Tür blickte, die mit unvorstellbar roher Gewalt zertrümmert worden war: Die Scharniere hingen, teils herausgebrochen, locker im Gestein.
Das musste einen höllischen Lärm veranstaltet haben! Wieso hatte sie nichts davon gehört?
Sie ging vorsichtig näher und schaute in das Zimmer, in dem
Weitere Kostenlose Bücher