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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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ihr Mündel die meisten Tage der letzten Monate verbracht hatte, wenn es ihr nicht irgendwie gelungen war, die Sicherungsmaßnahmen zu überlisten. Selbst Francesco hatte nichts davon bemerkt. Glaubte sie zumindest.
    Der Mond schien durch die Scheiben in den vollkommen verwüsteten Raum, in dem nichts, aber auch gar nichts heil geblieben war. Selbst die Bettdecken waren aufgeschlitzt.
    Gregoria entdeckte den Blutfleck, in dem sie stand und den sie im Schein des Nachtgestirns zunächst für Tinte gehalten hatte. Die Bestie!
    Heilige Mutter, rette Florence vor den Mächten des Bösen und bewahre ihre Seele vor Schaden!
    Sie wandte sich um, rannte die Treppe hinunter, um ins Dormitorium zu gelangen und die Nonnen vor der Kreatur zu warnen, die nun offensichtlich durch die Gänge und Säle Saint Grégoires strich und nach Menschenfleisch gierte.
    Sie fegte durch den Kreuzgang, legte die Hand auf die Klinke, welche die Tür zum Schlafsaal öffnete – und hielt inne. Ihr Blick wanderte nach unten auf die Blutlache, die sich vor dem Eingang gebildet hatte.
    »Mein Gott, verlasse mich nicht«, wisperte sie, begann zu zittern und drückte die Klinke dennoch hinunter, um die Tür aufzustoßen.
    Die Nonnen lagen im Schein zweier flackernder Nachtkerzen auf den ersten Blick friedlich in ihren Betten, doch um die Schlafstätten herum hatte sich der Boden in einen klebrigen roten Pfuhl verwandelt. Der Geruch des Blutes, das von den Matratzen tropfte oder die Holzgestelle hinablief, dabei gerann und erste zähe, schwarze Fäden bildete, hing Übelkeit erregend in der Luft und schlug Gregoria sofort auf den Magen.
    Sie übergab sich mehrmals hintereinander; sie konnte ihr Grauen nicht einmal herausschreien, weil ihr unentwegt die saure Brühe durch die Kehle in den Mund und durch die Nase schoss.
    Spuckend taumelte sie rückwärts – und wurde grob gepackt. Jetzt endlich besaß sie genügend Luft, um einen durchdringenden Schrei auszustoßen.
    »Ruhig, ehrwürdige Äbtissin!«, zischte jemand, und eine Hand legte sich über ihren Mund. Der Schein der Kerzen des Dormitoriums fiel auf Francescos strenges Gesicht. »Ihr lockt sie sonst zu früh an. Wir sind noch nicht so weit.«
    Sie stieß ihn von sich, lehnte sich keuchend an die Wand, vernahm die Schritte von vielen Stiefeln und hörte ein Klacken, wie es die Spannhähne von Musketen von sich gaben. »Ihr wisst es also?«
    »Ich ahnte es von Anfang an, ehrwürdige Äbtissin. Aber ich spielte Euer Spielchen mit, um Euch in Sicherheit zu wiegen. Antoine Chastel ist uns durch seinen Tod leider entkommen, daher habe ich Euer Mündel geprüft. Die Silbernadel brachte es ans Licht. Es schien mir fast, als wäre das Mädchen selbst überrascht … kann es sein, dass Ihr sie im Unwissen gehalten habt? Nun, ich kann Euch versichern, sie gewöhnte sich schnell an den Gedanken. Als wir sie festnehmen wollten, entwischte sie uns.« Der blonde Legatus wirkte beinahe gleichgültig. »Es erstaunt mich, dass Ihr schon auf den Beinen seid. Das Schlafmittel in Eurem Wasser hätte Euch bis zum Brand ruhig stellen sollen.«
    »Brand?« Gregoria wirbelte herum und schrak zurück, als sie die Schergen des Legaten sah, die im Halbdunkel ihre Vorbereitungen trafen. An den Bajonetten ihrer Musketen und an manchen ihrer Kleidungsstücke befand sich Blut, und sie verstand, wessen Blut es war. »Ihr … Ihr habt die Schwestern ermordet?«, flüsterte sie entsetzt. »Nichts kann das rechtfertigen! Der Heilige Vater …«
    Francesco trat näher an sie heran. »Wundert Ihr Euch etwa? Sie haben – wie Ihr, ehrwürdige Äbtissin – dem Bösen Unterschlupf gewährt und es geduldet. An einer Stätte des Glaubens! Sie haben den Tod verdient.« Er blieb absolut kalt. »Die Bestie kann dem Geruch des Blutes nicht widerstehen, sie wird kommen und sich laben wollen.«
    »Florence ist nur ein Opfer des Bösen. Sie weiß nicht, dass sie die Bestie ist!« Ohne nachzudenken versuchte Gregoria, den Gesandten von seinem Vorhaben abzubringen. »Ich flehe Euch an: Lasst ihr das junge Leben!«
    »O, seid unbesorgt. Wir haben nicht vor, Florence zu töten, ehrwürdige Äbtissin. Sie ist uns viel zu wertvoll. Wir erwarten neue Erkenntnisse über sie und ihren Schöpfer.« Francesco wies seine Helfer an, das mit Eisendrähten verstärkte Netz über der Tür auf der Innenseite des Dormitoriums festzumachen; dicke Seile wurden gespannt.
    Plötzlich erahnte Gregoria den Sinn der eisenbeschlagenen Kutsche. Sie war dazu bestimmt,

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