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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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kleines schwarzes Kreuz. »Ja?«
    Eric täuschte den Überraschten vor. »Oh, habe ich mich vertan? Ich suche Schwester Ignatia.« Er lächelte gewinnend, nahm die Hand langsam aus der Tasche und hielt das Stück Rosenkranz vor ihre braunen Augen. »Ich habe das gefunden und gehört, dass hier eine Ordensschwester abgestiegen ist. Können Sie mir sagen, auf welchem Zimmer ich sie finde?«
    »Rufen Sie ihn herein, Schwester Emanuela«, sagte eine ältere Frauenstimme befehlend. »Sie sind hier richtig, junger Mann.« Die junge Frau trat zur Seite und gab die Tür frei.
    Hoch konzentriert setzte er einen Fuß über die Schwelle und nahm sofort den schwachen Duft von Weihrauch wahr; auch der Geruch des Deos passte. Er hatte die Dame gefunden, die in der gleichen Nacht wie er im Wald gewesen war. »Danke. Dann hat mich die Rezeption richtig verstanden.«
    Schwester Ignatia saß auf dem Stuhl neben dem Fenster. Sie trug das schwarze Habit, wie es sich für eine Nonne gehörte, inklusive des langen schwarzen Schleiers. Sie war deutlich über vierzig. »Gott sei mit Ihnen, Señor …?«
    »Loyola«, gab Eric todernst zurück. »Eine seltsame Fügung, nicht wahr?«
    Sie lächelte nachsichtig und deutete ihm an, dass er sich aufs Bett setzen sollte. »Wir sind keine Jesuiten, Senior Loyola.« Ihre Hand reckte sich ihm entgegen. »Zeigen Sie mal, ob Sie etwas gefunden haben, das mir gehört.«
    Schwester Emanuela verharrte neben der Tür, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Er sah ihre Reflexion in der Fensterscheibe hinter Ignatia.
    Eric setzte sich und gab ihr das Stück Rosenkranz. »Hier, bitte sehr.«
    Ignatias Züge hellten sich auf. »Dem Herrgott sei gedankt!« Sie lächelte ihn freundlich an. »Ja, es ist das Stück, das verloren ging. Wie kann ich Ihnen dafür danken, Senior?«
    Eric beschloss, in die Offensive zu gehen. »Indem Sie mir erklären, wie es mitten in der Nacht in den Nationalpark kam.«
    Schwester Ignatia blieb gelassen. »Nun, warum fragen wir nicht Schwester Emanuela?«, schlug sie vor. »Sie hatte ihn sich ausgeliehen.«
    Eric hörte das Rascheln der Bluse und sah im Fensterglas, dass die junge Frau einen Angriff startete. Er rollte sich auf dem Bett zur Seite, und der Dolch, mit dem sie ihn hinterrücks hatte abstechen wollen, fuhr durch die Decke in die Matratze. Während Emanuela noch mit dem Gleichgewicht rang, trat er ihr die rechte Stiefelspitze mit dem gehärteten Silber frontal gegen die Stirn und schickte sie ohnmächtig auf den Boden des Zimmers.
    »Ich dachte immer, die Jesuiten seien die Kampftruppe des Papstes«, sagte er und zog die Pistole. Die Mündung richtete sich auf Ignatia. »Was soll die Maskerade?«
    »Es ist keine Maskerade«, gab sie freundlich zurück. »Wir dienen dem Herrn.«
    Auf Eric wirkte die füllige Nonne nicht, als sei sie dazu in der Lage, nachts durch den Nationalpark zu schleichen, sich mit einer Bestie anzulegen und auch noch gegen sie zu gewinnen. Auch Schwester Emanuela hatte bei ihrer Attacke alles andere als Professionalität an den Tag gelegt. »Wie kommt der Rosenkranz in den Wald?«
    »Ich habe keinen Grund, Sie anzulügen, Senior Loyola, oder wie immer Sie heißen mögen.« Ignatia schaute aus dem Fenster. »Meine Mitschwester war dort. Aber mich würde vielmehr interessieren, was Sie dort gesucht haben? Gehören Sie zu den Lycáoniten und sollen nun Rache üben?«
    »Nein, der Orden interessiert mich nicht.«
    Jetzt schaute sie ihn erstaunt an. »Senior, habe ich Sie überschätzt? Ich meinte nicht die Götzenanbeter des Lycáon. Ich meinte deren Brüder und zugleich ärgsten Feinde.« Ihre Augen wurden schmal. »Sie wissen wirklich nichts von den Lycáoniten!«
    Nein, Eric wusste wirklich nichts. Diese Überraschung machte ihm zu schaffen. Er bekam plötzlich den Eindruck, dass einiges in den letzten Jahren stillschweigend an ihm vorbeigegangen war. Das Wissen seines Vaters und damit auch seines erwies sich als nicht so lückenlos, wie er immer gedacht hatte. Seine Gedanken wirbelten durcheinander, und es dauerte, bis er seine Worte wieder fand. »Erzählen Sie mir von ihnen«, trat er die Flucht nach vorne an. »Ich bin ein Unwissender, Schwester.«
    »Warum sollte ich?«
    »Weil ich ein Waffe besitze und Sie nicht.«
    »Meine Waffe ist der Glaube.« Ihre Selbstsicherheit und ihr Gottvertrauen waren himmelhoch. »Ich fürchte mich nicht vor irdischen Projektilen.« Sie bekreuzigte sich.
    Eric bewunderte ihre Standhaftigkeit und seufzte theatralisch.

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