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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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geräumte Wege zum Parkplatz, wo der Porsche Cayenne stand. Es war nicht derselbe wie in Deutschland, wohl aber dasselbe Modell mit den exakt gleichen Spezifikationen. Abgesehen davon, dass dieser hier erstaunlich sauber war. Eric blieb stehen und stellte seine Tasche ab. Die hellbraunen Augen musterten den Lack. So sah also ein Cayenne unter der Schmutzschicht aus. »Sie haben ihn gewaschen, Anatol?«
    »Aus Versehen«, entschuldigte er sich. »Und poliert.«
    »Poliert auch noch. Weswegen?«
    »Der Schmutz läuft dann besser ab.« Anatol stieg auf der Beifahrerseite ein. »Wir haben zu viel Schmutz in der Stadt, Herr von Kastell. Selbst ein Geländewagen würde darin stecken bleiben.«
    Eric lachte leise. »Wie tiefsinnig, lieber Anatol.« Er setzte sich hinters Steuer und ließ den Motor zum Leben erwachen. Die Fahrt begann.
    Die Petersburger Straßen erforderten mehr Dreistigkeit als der Verkehr in Deutschland, und wer hier das breitere, stärkere, schnellere Auto fuhr, hatte Vorfahrt. Zu den Zeiten des Kommunismus, so bemerkte Anatol, sei das anders gewesen. Damals hätte es niemand gewagt, seinen Reichtum in Form eines Luxusautos offen zu zeigen, abgesehen von ein paar Parteibonzen. Offene Grenzen, neuer Wohlstand, neue Reiche. Unverholene Rücksichtslosigkeit. Leise rauschend drang das Geräusch des Schneematsches, der von der Straße gegen das Bodenblech geschleudert wurde, ins Innere.
    »Was haben Sie über die Zähne herausfinden können?«
    »Sie waren sehr lang, sehr scharf. Die dazugehörigen Kiefer brachten mehr Bisskraft auf als eine Dogge.« Wenn Anatol das Interesse an den bizarren Details des Mordes verwunderte, ließ er es sich nicht anmerken. Er hatte es sich abgewöhnt, Fragen zu stellen. Dazu wurde er zu gut von der Familie bezahlt. »Laut Forensik fand man den Speichel eines Menschen in den Wunden, aber auch kurze, rotbraune Haare, die einem Hund gehören könnten.«
    Rotbraun. Aus dem vagen Verdacht wurde neunzigprozentige Gewissheit. »Ist es der erste Mord?«
    »Wie Sie verlangt haben, habe ich mir die ungeklärten Fälle des letzten Vierteljahres vorgenommen. Nichts.« Er zeigte einem kleinen Skoda, der versuchte sie zu überholen, den Mittelfinger und beschimpfte den Fahrer wüst.
    »Anatol?«
    »Verzeihen Sie mir. Ich kenne den Mistkerl. Er schuldet mir fünftausend Rubel«, regte er sich auf. »Also, bei den unaufgeklärten Morden in der Stadt habe ich nichts finden können. Aber es gibt auch Berichte über Wolfsattacken, und vier davon könnten passen. Sie geschahen außerhalb, in unzugänglichen Regionen, und wurden als Tat eines tollwütigen Tiers eingestuft. Bei den Opfern handelte es sich um junge Männer, deren Verschwinden nicht sofort entdeckt wurde.«
    Eric wechselte die Spur und wäre beinah mit einem langsamen weißen Mercedes zusammengestoßen, der mit Warnsignalleuchten antwortete. Seine Gedanken waren zu sehr mit dem Sinneswandel des Wesens beschäftigt, das plötzlich mitten in der Stadt mordete, um offensichtlich Aufmerksamkeit zu erregen. Normalerweise mordeten Wandelwesen diskret. Nur so konnten sie unbehelligt ihre Ziele verfolgen. Viele waren Größen im organisierten Verbrechen, andere Konzernbosse, wieder andere tummelten sich bevorzugt in der Politik. Die wenigsten begnügten sich mit einer Existenz ohne Einfluss.
    Ziel dieses Exemplars war es wohl, Jäger anzuziehen und in eine Falle zu locken. Es war nicht sicher, dass es eine exklusive Falle für ihn war; es konnte ebenso gut sein, dass man es auf einen anderen abgesehen hatte. Allerdings wusste Eric nicht, wie viele andere Jäger es außer seiner Familie – außer ihm – noch gab.
    »Irgendetwas über diesen Fauve?«, fragte er Anatol.
    »Nein, die Informanten Ihres Vaters haben nichts zu berichten gewusst. In Sankt Petersburg scheint er jedenfalls nicht tätig zu sein.«
    Eric lenkte den Cayenne in die Hofeinfahrt des Anwesens, knirschend und knackend rollten die Räder durch den Schnee. Die Lichter erloschen, dann schaltete er den Motor aus. Wieder war er in einer Villa angekommen, die seiner Familie gehörte, ohne sich jedoch zu Hause zu fühlen.
    Schweigend betrat er das Jugendstilgebäude aus den besseren Tagen der Stadt und schleppte sich die Treppen hoch. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich nicht besonders fit und ausgeruht.
    »Danke, Anatol«, sagte er, kurz bevor er die erste Etage erreichte. »Sie können nach Hause gehen. Ich rufe Sie an, wenn ich etwas benötige.«
    Der Mann nickte und

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