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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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von Stoff umrahmt wurde. Er wischte sich mit dem Ärmel die Augen und kämpfte sich auf die Beine, die taub und steif waren. Er hatte bei seinem leidenschaftlichen Gebet jegliches Zeitgefühl verloren. »Ihr …« Das wunderschöne Gesicht einer jungen Frau, die nicht mehr als siebzehn Jahre alt sein konnte, raubte ihm die Sprache. In seiner Magengegend wurde es warm, doch sofort mahnte ihn sein Gewissen, im Haus des Herrn keine unkeuschen Gedanken zu hegen.
    Sie lächelte verlegen und senkte die blauen Augen. »Monsieur, ist Eure Zunge eingefroren?« Unter der Kappe schaute eine Strähne braunen Haars hervor.
    »Verzeiht mir«, entschuldigte er sich. »Ich war noch gefangen in meinem Gebet, und als ich Eure Stimme vernahm, dachte ich, der Himmel sandte mir einen Engel, um mich von meinen Gedanken zu erlösen.« Als ihm die Worte über die Lippen geschlüpft waren, begriff er, wie sehr es sich nach Werben anhörte. »Aber bitte, versteht mich nicht falsch«, versuchte er die Situation zu retten und spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. »Ich will Euch nicht in Verlegenheit bringen. Ich bin …jetzt besser still«, seufzte er resignierend. »Alles, was aus meinem Mund kommt, klingt in Euren Ohren sicherlich nach der Rede eines Narren.«
    Sie lächelte. »Nein, Monsieur. Ihr klingt nur verwirrt.« Sie richtete ihren dunklen Mantel, dabei wurden der Stoff eines dunkelroten Kleids und spitz zulaufende Stiefel sichtbar.
    »Ihr gehört nicht zu den Nonnen?«, entschlüpfte es ihm verräterisch freudig.
    »Nein. Ich bin das Mündel der ehrwürdigen Äbtissin.«
    Diese Erkenntnis machte ihn noch glücklicher.
    »Wie wäre es mit einer Suppe, Monsieur …?« Sie wartete darauf, dass er sich vorstellte.
    Pierre schwankte. Soll ich ihr meinen Namen nennen? Im Haus Gottes, vor dem Gemälde eines Heiligen und unter dem Kreuz wollte er nicht lügen, also bekannte er sich zu seiner Familie.
    »Dann kommt, Monsieur Chastel«, sagte sie, deutete eine Verbeugung und ein Kopfnicken an. Entweder hatte sie noch nichts vom zweifelhaften Ruf der Wildhüter gehört, oder es kümmerte sie nicht. »Ich bringe Euch ins Gästehaus, wo man etwas Warmes für Euch haben wird.« Sie ging auf die Seitentür der Kapelle zu, die in die Klosteranlage führte.
    Pierre blieb stehen. »Das ist sehr nett, aber ich muss leider gehen, Mademoiselle …?«
    »Taupin. Mein Name ist Florence Taupin.« Ihre Augen strahlten ihn an. Es war offensichtlich, dass sie auch ihn ansprechend fand, obwohl sie natürlich sittsam den Blick senkte. »Was treibt Euch ohne ein Essen hinaus?«
    »Er hat einen Wolf zu jagen«, kam es hart von der offenen Eingangstür, und die beiden jungen Leute zuckten erschrocken zusammen. »Er hat genug Zeit damit verschwendet, vor dem Abbild eines toten Pfaffen auf den Knien zu liegen.«
    Pierre erkannte in den beiden Silhouetten Vater und Bruder wieder, die im Gegensatz zu ihm ihre Waffen nicht abgelegt hatten. Sie scherten sich nicht um die Regeln in einem Gott geweihten Haus.
    Jean warf ihm die Muskete zu. »Du hast sie draußen stehen lassen, Pierre. Sie war teuer. Willst du sie einem vorbeilaufenden Bauern schenken, oder was dachtest du dir dabei?«
    Widerwillig fing Pierre die Waffe auf und schritt eilends auf den Ausgang zu, um die Kapelle zu verlassen.
    Florence reagierte völlig unerwartet auf das harsche Auftreten. »Da Ihr sein Vater seid, Monsieur, und sicherlich ebenfalls einen weiten Weg in der Kälte hinter Euch gebracht habt, biete ich Euch und Eurem Begleiter ebenfalls gerne eine Suppe an.« Sie behielt ihren freundlichen Tonfall bei, obgleich man ihr ansah, dass es sie Überwindung kostete, nicht auf der Stelle zu gehen. Nächstenliebe schien für sie mehr als ein Wort zu sein, selbst wenn sich der Nächste garstig benahm. Das verblüffte den Wildhüter, und sein verschlossenes Gesicht nahm einen sanfteren Ausdruck an. »Verzeiht mir, Mademoiselle, es ist schon spät und wir wollen die Ortschaft vor Einbruch der Nacht erreichen.«
    »Wir haben ein Gästehaus …«, begann Florence, als sich plötzlich die Tür des Seiteneingangs öffnete. Äbtissin Gregoria betrat die Kapelle, nickte der jungen Frau lächelnd zu, bemerkte dann die drei Besucher und versuchte mit einem unmerklichen Stirnrunzeln, die Lage einzuschätzen. »Ich hätte nicht erwartet, dass ich außer Pierre Chastel noch den Vater und den Bruder in der Kapelle zu sehen bekomme«, sagte sie überrascht und legte die Hände ineinander. »Ich nehme an, dass

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