Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
Vom Netzwerk:
Finger auf Jacques und wollte sich nicht mehr beruhigen. »Hört den kleinen Mann, was er redet, was er kann«, höhnte er. »Die Bestie hat dich nicht fressen wollen, das war alles. Du stinkst zu sehr nach deinen Ziegen und Schafen.«
    Jean eilte herbei und versetzte ihm eine Folge harter Ohrfeigen, die Antoine dazu brachten, leise zu kichern und die Arme schützend vor das Gesicht zu heben. Die übrigen Gäste schauten verwundert, schritten jedoch nicht ein. Das Großmaul hatte die Abreibung für so viel Taktlosigkeit verdient. Antoine wich zurück, schielte zwischen den Armen hindurch zum Eingang und grinste lüstern.
    Malesky roch den dezenten Duft von Seife, dann sah er aus den Augenwinkeln das Kleid einer Frau neben sich erscheinen. Jacques hob seinen Kopf. »Marguerite! Schön, dass du da bist. Jeanne und ich wollten gerade gehen und uns den Markt ansehen. Die Gesellschaft«, er schaute zu Antoine, »ist nicht nach meinem Geschmack. Kommst du mit?«
    Der Moldawier wandte sich um, stand auf und verbeugte sich vor der jungen Frau, die das gleiche Alter wie das unglückliche Opfer der Bestie hatte. Marguerite war unzweifelhaft apart zu nennen; das schlichte Kleid unterstützte den Eindruck, eine selten hübsche Blume in einem eintönigen Kornfeld vor sich zu haben. Sie nickte.
    Der Bauernjunge setzte sich seine Kappe auf. »Ich wünsche Euch viel Erfolg, Monsieur«, sagte er zu Malesky. »Möge Gott Euch beistehen.«
    Die drei verließen Le Calice, Marguerite führte die teilnahmslose Jeanne. Auch die Chastels waren verschwunden. Der Wildhüter hatte es geschafft, seinen angetrunkenen Sohn die Treppe hinauf ins Zimmer zu bugsieren.
    Nach einer Weile – der Moldawier hielt sich zurück, um nicht auch Jeans Ration zu vertilgen – kehrte Jean aus dem oberen Geschoss zurück und setzte sich. Er sah abgekämpft aus. »Mein Sohn ist ein schwieriger Mensch«, sagte er verteidigend. »Und wie gerne würde ich sagen, dass er dafür herzensgut ist.« Er schnitt sich die Wurst in Scheiben. »Ich hoffe, dass er seinen Rausch ausschläft und danach Herr seiner Zunge ist. Herr seines Verstandes wird er wohl nie sein.« Kaum hatte er das erste Stückchen Wurst gekaut, fiel ihm das Fehlen seines anderen Sohnes auf. »Wo ist Pierre?«
    »Ich soll Euch sagen, dass er nachkommt. Er hat einen Kamm gekauft und sich in die Menge gestürzt.« Malesky hörte die Bluthunde draußen immer noch jaulen und bellen, sie wollten sich nicht mehr beruhigen. »Ich glaube, er nannte einen Namen … Florence?«
    Ohne eine Erklärung stand Jean auf, nahm die Muskete und schritt zum Ausgang.
    »Was? Was ist denn?« Der Moldawier erhob sich überstürzt und lief ihm nach, um das Unglück zweier junger Menschen, an dem er durch ein Wort zuviel Mitschuld trug, aufzuhalten oder zumindest abzumildern. »Wartet, Monsieur!«
     
    Pierre folgte dem braunen Schopf mit dem Haarnetz, den er immer wieder zwischen den Hüten, Hauben, Kappen und Haaren der Festbesucher erspähte. Florence bewegte sich sehr zielstrebig vorwärts, bog mehrmals ab und zeigte keine Unsicherheit, was ihn zu der Überzeugung brachte, sie wollte einen bestimmten Punkt erreichen und nicht bloß schlendern. Die Buden um sie herum ließ sie achtlos liegen.
    Er schloss zu ihr auf, nahm all seinen Mut zusammen, um sie zu überrunden, und stellte sich dann vor sie. »Bonjour, Mademoiselle Florence.« Der Blick in ihr liebliches Gesicht brachte ihn bereits zum Schwitzen, und seine Hände wurden feucht. Er stockte. Alles, was er sich während der kurzen Verfolgung an schönen Worten zurechtgelegt hatte, verschwand aus seinem Geist wie weggeweht. Schuld war ihr bezauberndes Lächeln, wie ein Sonnenaufgang über dem Montmouchet, betörend wie der Duft des Heidekrauts und so rein wie das Wasser aus den Quellen des Gevaudan.
    »Bonjour, monsieur Chastel«, antwortete sie freundlich und doch ein wenig scheu. »Wie geht es Euch? Ich habe oft an jenen Nachmittag unseres Zusammentreffens gedacht und zum Herrn gebetet, dass er Euch von Eurer Bürde befreit.« Ihre braunen Augen glänzten voller Freude, auch wenn Pierre einen Hauch von Schwermut zu erkennen glaubte.
    »Jetzt, wo ich Euch sehe, ist sie verflogen«, kam es ihm geradewegs aus dem Mund. Sein Verstand sog sich voll mit ihrer Schönheit, bewunderte das adlig-blasse Antlitz, den geraden Wuchs, ihren erblühenden Körper, ihre schlanken Finger, die verlegen an den Knöpfen ihres Kleids spielten. Auch sie war aufgeregt.
    »Ach, Monsieur!«

Weitere Kostenlose Bücher