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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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einem Mal das Gefühl, dass sie wirklich wissen wollte, was in ihm vorging. Was seine Nöte waren. Daher schwieg er, ging zum Ausgang und verschwand grußlos.
     
    Gregoria folgte dem Wildhüter mit ihren Blicken, während sie mit der Rechten bewusst nach der ersten kleinen Perle des Rosenkranzes griff und sich anschickte, ein Ave Maria zu beten. Sie hatte erkannt, dass Gott ihr Jean Chastel als Prüfung sandte, um ihn zurück in die Gemeinschaft der Gläubigen zu führen. Denn nur das durfte das stärker werdende Interesse an dem ungewöhnlichen Mann bedeuten. Alles andere war ihr verboten.
    Gregoria erinnerte sich unvermittelt an Florence. Sie verließ das Zelt und rief für die Suche nach ihrem Mündel, das sich sicherlich in dem Gewirr aus Buden, Ständen und Leinwänden verlaufen hatte, zwei Novizinnen zu sich. Zu ihrer Überraschung entdeckte sie Jean Chastel, der unschlüssig neben dem Ausgang stand.
    Bevor sie ihn nach dem Grund seines Verweilens fragen konnte, kam ein Reiter angaloppiert und lenkte sein Pferd rücksichtslos durch die Menschen, die fluchend aus dem Weg sprangen, ihre Fäuste schüttelten und ihm drohten.
    »Lasst mich durch!«, schrie er außer sich. »Ich muss Hilfe holen! Die Bestie hat sich Marguerite Martin geholt, draußen auf dem Feld, in Richtung Saint-Privat-du-Fau!«
    Jean riss die Muskete von der Schulter und rannte los. Sogleich folgten ihm ein Dutzend aufgebrachter Männer mit Mistgabeln, Speeren und Dreschflegeln zum Dorf hinaus.
     
    Sie fanden die Stelle sofort.
    Am Eingang des Dorfes, wo die Straße hinaus in die Felder führte, lag die hübsche Marguerite rücklings in ihrem eigenen Blut, das ebenmäßige Gesicht von unvorstellbaren Schrecken und Schmerzen gezeichnet. Knapp unterhalb des Kinns klaffte ein großes Loch, wo sich vorher die Kehle der jungen Frau befunden hatte. Die Risse im Kleid zeugten von der Wucht, mit der die Krallen der Bestie sie zu Boden geworfen haben mussten.
    Ein gewaltiger, wütender Aufschrei ließ alle zusammenzucken. Der junge Jacques Denis eilte herbei, warf sich neben der toten Freundin auf die Knie und brach in Tränen aus. Ein Krampf schüttelte ihn, er schluchzte und fluchte ohne Pause.
    »Etwas hat sie gestört«, sagte Malesky plötzlich neben dem Wildhüter. Er kniete sich ebenfalls neben die Leiche. »Sie hat dem armen Kind den Hals zerfetzt und musste verschwinden, bevor sie fressen konnte.« Er schaute Chastel von unten an. »Wir können die Spur verfolgen.«
    Jacques hustete und zog die Nase hoch. Er starrte hasserfüllt auf die Wunde. »Das hat die Bestie mit Absicht getan«, brüllte er im Zorn. »Sie will mich quälen!« Er schnellte in die Höhe und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Heute ist der letzte Tag der Bestie!«, rief er heiser, und die Menschen stimmten ihm laut zu.
    Die Hundewarte von Denneval erschienen mit dem Dutzend Tieren, um sie heiß auf die bevorstehende Jagd zu machen und die Fährte aufnehmen zu lassen. »Die Dennevals kommen sofort. Sie müssen ihre Pferde noch satteln«, erklärte einer von ihnen.
    »Das dauert mir zu lange.« Jacques weigerte sich, auf das Eintreffen der Wolfsjäger zu warten. »Wir gehen jetzt auf die Jagd!« Er schlug einem der Männer die Leinen aus der Hand. Aufgeregt schnuppernd liefen die drei Hunde um Marguerites Leiche und setzten sich sofort auf die Spur der geflohenen Bestie. Jacques rannte ihnen hinterher, die Leute von Malzieu sowie Jean und Malesky schlossen sich ihm an, während die Hundewarte noch unschlüssig herumstanden.
    Es ging in Richtung Amourettes. »Wir haben gute Aussichten, die Prämie zu kassieren«, sagte der Moldawier unterwegs. »Außer dem petit monsieur hat keiner ein Gewehr oder eine Pistole dabei.«
    Im Kopf des Wildhüters überschlugen sich die Gedanken. Es kamen nur Pierre und die echte Bestie für die Tat in Frage, Antoine lag im Weinrausch zwischen den Laken und war nicht in der Verfassung für diese Tat. Pierre darf es nicht gewesen sein, hoffte er inständig. »Ja, wir könnten endlich Glück haben«, gab er lahm zurück.
    »Ihr habt Pierre nicht finden können?«
    »Nein.«
    »Hat er vielleicht dafür eine Liebe gefunden?«
    Der Tonfall des Bekannten war freundlich-neckend, die Frage sicherlich nicht böse gemeint, aber er streute Salz in die Wunde. »Hört auf damit«, herrschte Jean ihn an. »Mein Sohn soll sich von dem Nonnenmündel fern halten. Sie ist nichts für ihn, sie ist verzogen und versteht nichts vom Leben im Gevaudan. Sie

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