Ritus
Herrn sind unergründlich«, grüßte ihn die Äbtissin. Sie trug eine schwarze, gegürtete Tunika und das schwarze Skapulier, eine helle Haube bedeckte die Haare, darüber lag der schwarze Schleier. Obwohl die frühsommerliche Wärme durchaus ausreichte, um den Gehrock von sich zu werfen, trug die schlanke Frau ihre Flocke, das mantelähnliche Überkleid, über ihrem Ordensgewand. »Seid Ihr immer noch der Bestie auf der Spur? Ihr habt Mitstreiter aus der Normandie erhalten, sagt man.«
»Kümmert Euch nicht um meine Angelegenheiten. Ruft Euer Mündel herbei und legt es an die Kette, bevor es seine Krallen in meinen Sohn schlägt«, gab er zurück und bemühte sich nicht einmal, freundlich zu sein.
»Florence? Sie ist noch nicht hier. Ich hatte sie geschickt, nach dem Marktaufseher zu suchen.« Gregoria schaute ihn ernst an und deutete auf das Zelt, das die Nonnen gerade fertig aufgebaut hatten. »Auf ein Wort, Monsieur Chastel. Ich muss mit Euch unter vier Augen reden.«
Verwundert folgte er ihr in das Dunkel des Standes, in dem es nach frischen Kräutern und Ziegenkäse roch – Waren, die die Schwestern verkauften, um die Einkünfte des Klosters aufzubessern. In ihrer schwarzen Tracht verschwand Gregoria beinahe vollständig vor der Zeltwand, das Gesicht und Hände schienen körperlos zu sein.
»Nun, Monsieur … Euer Sohn stellt meinem Mündel nach«, begann sie leise.
»Wundert Euch das?«, sprach er laut. »Sie hat ihm damals in der Kapelle schöne Augen gemacht. Er ist eben ein junger Mann, der voll im Saft der Jugend steht und den Reizen eines Mädchens wie Florence nicht abgeneigt sein kann.« Er zeigte auf den Ausgang. »Sie hat ihm den Kopf verdreht. Und gerade eben tut sie es schon wieder, wie mir Monsieur Malesky sagte. Lernt man das in Eurem keuschen Kloster?«
Gregorias Rechte langte nach dem silbernen Rosenkranz an ihrem Gürtel, ihre Finger wanderten an den Perlen entlang. »Ihr unterliegt einem Irrtum, Monsieur. Ich meinte damit nicht Pierre«, korrigierte sie sanft und schaute ihm unverwandt in die Augen. »Es war Antoine, den ich mehrmals vor den Mauern gesehen habe. Ich erkannte ihn so deutlich, wie ich Euch vor mir sehe, Monsieur Chastel. Ihn und den größten seiner Hunde.«
War er eben noch wegen der unerwarteten Neuigkeiten über Pierres Ausflüge verärgert, schlug das Gefühl nun um, verwandelte sich in Besorgnis. Er kannte die fatalen Vorlieben Antoines und verstand sofort, was es für Florence bedeuten konnte, sollte es ihm gelingen, unbemerkt in ihre Nähe zu kommen. Sein jüngerer Sohn warb nur kurz um Blumen, um ihre Knospen zu öffnen; gelang es ihm nicht, war es vorgekommen, dass er sie mit Gewalt brach.
Gregoria sah ihm seinen Kummer an. »Ich verurteile niemanden nach dem, was mir über ihn zugetragen wird, aber über Euren Antoine gibt es Geschichten, die mich um die Reinheit meines Mündel fürchten lassen. Seine Vergangenheit bei den Barbaren in Algerien und Marokko mag zu dieser Verdorbenheit geführt haben, die ich deutlich bei ihm erkenne.« Sie berührte seinen Arm. »Ich bitte Euch, Monsieur Chastel, verbietet ihm, sich ihr weiterhin zu nähern.«
Es gab kein Zögern. »Ich verspreche es Euch«, willigte er ein. »Ihr werdet im Gegenzug darauf achten, dass sie Pierre in Ruhe lässt. Er benötigt seinen Verstand, um mir bei der Jagd beizustehen. Ist er in Gedanken bei ihr und einem Schäferstündchen, kann es tödliche Folgen für ihn haben.«
Gregoria nickte. »Zwischen den beiden wird sich nichts ereignen, solange Florence in den Mauern von Saint Grégoire ist. Das schwöre ich bei Gott dem Herrn.«
Jean lachte bitter. »Schwört auf etwas von Dauer, damit ich Euch glauben kann.« Er versuchte, ihren Arm abzuschütteln.
»Ihr seid wie immer unverschämt und respektlos, Monsieur!« Sie zog ihre Hand zurück, trat dafür aber näher heran, um ihm fest ins verschlossene Antlitz zu schauen. »Aber Euer Benehmen richtet sich nicht gegen mich, habe ich Recht? Was hat Euch den Glauben vergällt, Monsieur Chastel? Was wurde Euch angetan, dass Ihr weder an Gott noch an die Kirche glauben möchtet?«
Das ehrliche Interesse Gregorias, das ihm so noch bei keinem Pfaffen untergekommen war, verunsicherte ihn, und die abschätzige Bemerkung wollte ihm nicht mehr über die Zunge kommen. Anders als die scheinheiligen Priester, die Wasser predigten und den Wein aus Kübeln tranken, lebten wie die Herren und sich gerne um das Geld in ihrer Kasse kümmerten, hatte er bei ihr mit
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