Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
Vom Netzwerk:
vor. Auf allen vieren hetzte es davon.
    »Nein!«, rief Jean verzweifelt, zielte rasch und schoss beide Läufe hintereinander ab.
    Die Kugeln drangen in das Schulterblatt und in den Nacken ein, der Einschlag schleuderte die Kreatur ins Gras. Sie kroch wie ein verwundeter Mensch auf dem Bauch voran, während sich die Löcher in ihrem Fell bereits wieder schlossen.
    »Du entkommst mir nicht!« In großen Sätzen näherte sich Jean ihr, die Muskete mit dem Bajonett wie einen Spieß haltend.
    Das Biest erhielt seine alte Kraft zurück, stemmte sich auf die Pfoten und begann zu rennen, als Jean es fast erreicht hatte. Normalerweise hätte er es eingeholt, aber seine Beine waren von der anstrengenden Verfolgung bleischwer geworden, weshalb es mit jedem Schritt mehr Distanz zwischen ihn und sich brachte.
    Wütend schleuderte er die Muskete. Das Bajonett bohrte sich bis zum Heft in den Rücken des Loup-Garou … und glitt wieder heraus, eine tiefe Wunde hinterlassend, die aber nach einem Lidschlag aufhörte zu bluten und ebenso rasch verheilte wie die Schusswunden.
    »Nein! Es muss mir gelingen! Du …« Jean strauchelte über einen Maulwurfshügel, stolperte und fiel ins Gras, schlug schwer auf, rutschte zwei Schritte weit. Schon wollte er wieder aufspringen, da merkte er, dass ihm sein Körper nicht mehr gehorchte. Aufstöhnend presste Jean das erhitzte Gesicht in die feuchten Halme, zu Tode erschöpft und verzweifelt, während Dennevals Bluthunde belfernd rechts und links an ihm vorbei rannten und sich auf die Fährte der Bestie setzten.
    Jean rollte sich ächzend auf den Rücken, starrte in den Himmel und roch das Blut der Bestie. So knapp – und doch wieder entkommen! Das wenige Blut am Bajonett würde sicher nicht ausreichen, um das Gegengift zu brauen.
    »Monsieur Chastel, seid Ihr wohlauf?« Maleskys hochrotes Gesicht schob sich vor den Himmel; das Pincenez saß wackelig auf dem Nasenrücken, den der Schweiß rutschig gemacht hatte. »Ihr habt dem jungen Mann und dem Mädchen das Leben gerettet, Gratulation!« Er streckte die Hand aus, um dem Wildhüter beim Aufstehen behilflich zu sein, und es entging Jean nicht, dass er seltsam zufrieden aussah.
    »Ich kann Eure Freude nicht teilen«, sagte er verdrossen und ließ sich helfen. Dann stand er neben dem Moldawier, dem es unangenehm war, dass man ihm seine Gefühle vom Gesicht ablesen konnte. »Sie wird wieder töten, aber Ihr schaut drein, als hätten wir sie ein für allemal erlegt.«
    »Nein, Ihr versteht mich falsch«, beschwichtigte ihn Malesky. »Es ist nur … Ich freue mich, dass Euch nichts geschehen ist, Monsieur.« Rasch blickte er zur Seite: Das Donnern von Hufen zog die Aufmerksamkeit aller auf sich.
    Die Dennevals preschten aus dem Birkenwald, hielten neben Jacques an und unterhielten sich kurz mit ihm. Der Ältere der Normannen nickte dem Wildhüter anerkennend zu und berührte die Spitze seines Hutes zum Gruß. Der Jüngere zog Jacques zu sich auf das Pferd, und dann ritten sie weiter, den Hunden nach.
    »Er wird sie auch nicht zu fassen bekommen. Entweder wir kriegen sie oder keiner«, prophezeite Malesky und hob Jeans Muskete auf, reichte sie ihm und betrachtete das Blut, das an seinen Fingern kleben geblieben war. Er roch daran. »Erstaunlich«, wunderte er sich. »Ich bemerke weder Schwefel noch Gestank oder etwas, was man mit einer höllischen Kreatur in Verbindung brächte.«
    Er wandte sich um, bückte sich, um das Rot abzuwischen. Der Wildhüter sah genau, dass er seine Finger vorher rasch zum Mund führte. Jean fand das Verhalten mehr als merkwürdig, vermied es aber, eine Bemerkung darüber zu machen, und beschloss, ihn fortan besser im Auge zu behalten. »Kehren wir nach Malzieu zurück«, sagte er müde und lud seine Waffe. Er musste wissen, wie es Pierre ging.
    Schweigend nahmen sie den gleichen Weg zurück in das Dorf, in dem der schrecklichste Tag seit dem Einfall der Bestie ins Gevaudan seinen Anfang genommen hatte.
    Jean machte sich schwere Vorwürfe. Vier Opfer innerhalb kürzester Zeit, mehr oder weniger vor den Augen der Häscher. Die Bestie verhöhnte sie, führte sie an der Nase herum und forderte sie heraus. Es war eine erneute Demonstration ihrer Macht, ihrer Überlegenheit gegenüber den Menschen. Und vor allem gegenüber ihm. Denn mit jedem Toten stieg seine Schuld, jedenfalls glaubte er das. Nichts würde ihn jemals davon reinwaschen können. In Momenten wie diesen wünschte er sich den Beistand Gottes.
     
    Bei Einbruch der

Weitere Kostenlose Bücher