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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Fassen wir sie heute nicht, wird sie morgen wieder töten, und dann kann es eure Familie treffen!« Er schürte ihre schlimmsten Ängste, und wirklich verfielen die Ersten neuerlich in Trab. Doch es dauerte lange, bis sich der gesamte Pulk in Bewegung setzte. Malesky starrte angestrengt nach vorne. Der Wildhüter und der Junge waren bereits in einem Birkenwald verschwunden.
     
    Jean keuchte, die Lunge brannte, und das Stechen in seiner Seite gab ihm unmissverständlich zu verstehen, dass sein Körper nicht mehr lange mit den Kräften von Jacques Denis mithalten konnte. Der junge Mann rannte fünfzig Schritte vor dem Wildhüter zwischen den Bäumen hindurch, flog förmlich durch den kleinen Wald, und nichts vermochte seinen Lauf zu bremsen.
    »Warte«, rief Jean. »Du machst dich zu einem leichten Opfer!« Jacques hörte nicht auf ihn.
    Wem werden wir gegenüberstehen? Diese Frage pochte unentwegt in Jeans Schädel. Ist es Pierre oder die echte Bestie? Womöglich rückte die Rettung seiner Söhne in eine Nähe, wie sie in den letzten Monaten nicht mehr vorgekommen war.
    Doch dann fielen ihm die Worte des Henkers ein. Silberkugeln! Er hatte keine Silberkugeln geladen. Ein heißer Schauer fuhr durch seinen Körper, doch dann zwang er sich, so gut es bei dieser quälenden Hetze möglich war, zur Besonnenheit. Er erinnerte sich an das erste Zusammentreffen im Vivarais, als Antoine den Loup-Garou mithilfe der Musketenladungen geköpft hatte. Nein, er brauchte kein Silber, wenn es ihm nur gelang, den Schädel der Bestie vollständig von ihrem hässlichen Hals zu schießen.
    Der Wald lichtete sich. Durch die Birken hindurch erkannte er in einiger Entfernung einfache Bauernhäuser, zu denen die Bestie sicherlich wollte, um das nächste Kind zu reißen.
    Jean verließ den Forst und kam schnaufend auf einer Wiese mit hohem Gras zum Stehen, das im lauen Maiwind hin und her wogte. Jacques befand sich schon auf halbem Weg zum Dorf, die Hunde liefen um ihn herum. Frauenschreie gellten. »Jacques!«, rief Jean außer Atem. »So warte …«
    In dem Moment schnellte die Bestie aus dem Gras unmittelbar neben dem jungen Mann empor und sprang ihn an.
    Jacques’ Reaktion wurde vom Hass geleitet. Anstatt die Flucht zu ergreifen, wich er ihr aus und stach mit dem Bajonett zu.
    Die in die Schulter eindringende Klinge störte die Kreatur kaum, sie warf sich knurrend und fauchend gegen ihren Feind und drückte ihn nach unten. Die Bluthunde sprangen bellend um den Kampf herum, ohne einzugreifen – offenbar waren sie von den Dennevals so abgerichtet worden, dass sie ihre Beute stellten, aber nicht attackierten, was dem jungen Denis zum Verhängnis zu werden drohte.
    Jean hob die Muskete in den Anschlag, lief näher heran und hoffte, einen Schuss abgeben zu können, aber das ständige Auf und Ab des Gerangels zwischen Mensch und Bestie ließ es nicht zu. Etwas abseits lag eine schwer verletzte junge Frau im niedergedrückten, rotfeuchten Gras. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und sie schrie ohne Unterlass. Die Bestie hatte schon wieder zugeschlagen, trotz ihrer Verfolger.
    »Halte durch!« Er steckte sein Bajonett unter den Lauf in die Halterung und stieß nach dem Loup-Garou, der daraufhin heulend wegsprang und den Wildhüter mit glühenden Augen anstarrte. Für Jean gab es keinen Zweifel mehr: Er hatte den Urheber des Übels vor sich, nicht seinen Sohn Pierre.
    »Na, erkennst du mich wieder?«, sagte er leise zu ihm und stellte sich vor Jacques, dem es gelungen war, sich nicht von den Zähnen verletzen zu lassen. »Greif mich an, Höllenkreatur, damit ich dir deinen Schädel vom Hals schlage.«
    In Marcillac hatte man indes bemerkt, was sich auf der Wiese zutrug. Jedermann im Gebiet kannte die Beschreibung der Bestie, und so griffen die Bauern zu ihren einfachen Waffen und rannten herbei, um den Jägern zu helfen.
    Jean sah sie aus den Augenwinkeln kommen und fluchte. Wollte er das kostbare Blut, musste er sich beeilen. Er spannte die Hähne der Muskete und zielte aus der Hüfte, um die Kreatur nicht durch das Anlegen vor dem bevorstehenden Schuss zu warnen.
    Der abscheuliche Kopf des Wesens wandte sich zu den Menschen aus Marcillac, dann schaute es zum Waldrand, aus dem Malesky und die übrigen Männer kamen. Vor den Augen des Wildhüters stieß es sich zu einem kräftigen Sprung ab, der es aus dem Stand fünf Schritte weit und über die tobenden Hunde trug. Es wusste, dass es gegen die Übermacht unterliegen würde, und zog die Flucht

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