Rivalen der Liebe
fand? Ihr Herz begann zu hämmern, und das war ziemlich merkwürdig, stellte sie fest. Weshalb sollte sie sich auch nur einen Deut um ihn scheren? Er war nur ein leichtsinniger, sorgloser Lebemann. Diese Sorte Männer hatte ihr noch nie gutgetan.
»Da vorne ist Mr. Knightly mit Mehitable Loud«, flüsterte Eliza. Ihr Arbeitgeber untersuchte indessen seelenruhig ein Paar Pistolen, die sein Sekundant ihm hinhielt.
»Was machen wir bloß, wenn er nicht überlebt?«, fragte Eliza leise. Die Frage war berechtigt und beängstigend. Wer würde dann die Zeitung übernehmen? Würde der neue Herausgeber die Schreibfräulein so gut unterstützen, wie es bisher der Fall gewesen war? Und was würde aus ihr, wenn Knightly wegen einer Kolumne aus ihrer Feder sterben müsste? Würden sie deswegen alle ihre Stellen verlieren? Juliannas Mund wurde trocken, und ihre Handflächen fühlten sich kalt und verschwitzt an. Sie verspürte den Drang, Kassensturz zu machen.
Julianna schrieb, weil sie es liebte zu schreiben, aber auch, weil sie das Geld brauchte. Eliza und Annabelle ging es genauso. Zwischen den drei Frauen herrschte die unausgesprochene Einigkeit, dass sie nicht heiraten mussten, solange sie ihr eigenes Geld verdienten. Nach ihrer katastrophalen Ehe verspürte Julianna auch nicht den Wunsch, noch einmal zu heiraten.
»Ich bin sicher, er wird überleben«, log Julianna, mehr um sich selbst zu beruhigen als Eliza. »Roxbury war zu wütend, um klar sehen zu können. Er wird nicht mal einen geraden Schuss abgeben können.«
Am anderen Ende der Wiese preschte jetzt eine jagdgrüne Kutsche mit dem Wappen der Familie Roxbury heran. Das Wappen glitzerte golden und silbern. Das beeindruckende Gefährt wurde von einem Paar grauer Kutschpferde gezogen und blieb so abrupt stehen, dass Kieselsteine und Dreck aufwirbelten. Die Pferde wieherten schrill im Geschirr.
Roxbury stieg aus der Kutsche. Er sah sehr verwegen aus.
»Er ist so verflucht attraktiv«, flüsterte Eliza und sprach damit Juliannas Gedanken aus. Weil sie ihn jetzt in aller Ruhe aus der Ferne betrachten konnte, nutzte sie die Gelegenheit.
Attraktiv war noch untertrieben. Ihn umgab eine Aura der Stärke und Lebendigkeit, die von den glänzend schwarzen Haaren und der leicht gebräunten Haut noch zusätzlich unterstrichen wurden. Er ging voller Selbstbewusstsein über das Duellfeld, mit raschen, sicheren Bewegungen. Trotzdem glaubte sie, eine gewisse Anspannung an ihm zu bemerken.
Seine Hose passte perfekt und lenkte den Blick automatisch auf Roxburys muskulöse Beine. Sie vermutete, dass auch seine Arme kräftig waren, und überlegte, wie es sich wohl anfühlte, wenn diese Arme sie festhielten …
So schwer wäre es gar nicht, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen – nach dem, was Julianna über ihn wusste, könnte sie aufs Geratewohl jede zweite Frau in London fragen, und jede einzelne von ihnen könnte aus dem Nähkästchen plaudern. Vermutlich kam er direkt aus dem Bett einer Frau aufs Duellfeld.
Abgesehen von diesen Gedanken schien Roxbury ihr doch viel zu jung, viel zu schön und viel zu lebendig, um heute schon zu sterben. Julianna hielt den Atem an. Wenn er heute seinen letzten Atemzug täte, wäre das ganz allein ihre Schuld. Denn dieses ganze Duell hier fand nur deswegen statt, weil sie diesmal mit allzu spitzer Feder geschrieben hatte.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und sie wurde von heftigen Gewissensbissen geplagt.
»Glaubst du wirklich, er war mit einem Mann zusammen?«, überlegte Eliza.
»Es hätte genauso gut Jocelyn sein können. Ich habe keine Ahnung.«
Jetzt kamen Julianna ihre Zeilen so töricht vor.
Julianna beobachtete, wie die beiden Kontrahenten einander die Hand gaben. Die Sekundanten begrüßten sich ebenfalls. Sie kannte Roxburys Sekundanten nicht – er war ein durchschnittlich großer Mann in schlampiger Kleidung. Nach einem kurzen Gespräch wurden die Pistolen zur Hand genommen, die Sekundanten traten beiseite und Knightly und Roxbury standen mit dem Rücken zueinander.
Julianna ließ Roxbury nicht aus den Augen. Aus der Entfernung konnte sie seinen Gesichtsausdruck zwar nicht erkennen, aber er hielt sich so aufrecht, als kenne er keine Furcht. Das erfüllte sie mit Ehrfurcht.
Die Männer begannen, sich gemessenen Schritts voneinander zu entfernen. Schon bald würden sie aufeinander schießen … Mehitable bellte die Schritte mit seinem tiefen Bariton, und sie konnten ihn deutlich hören.
Eins. Zwei.
Juliannas Herz
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