Rivalen der Liebe
pochte schneller. Entsetzlich. Das war nicht die Angst, von einer verirrten Kugel selbst getroffen zu werden, sondern eher, dass Knightly ins Ziel traf. Doch wie konnte das sein, dass sie Angst um einen Schurken wie Roxbury hatte? Sie machte sich doch gar nichts aus ihm! Und außerdem kannte sie ihn ja kaum! Er war nur ein weiterer Taugenichts und ein Flegel der übelsten Sorte, wie es sie in dieser Stadt wahrlich zuhauf gab. Trotzdem …
Drei. Vier.
Sie hatte auch Angst um Knightlys Leben. Es war unwahrscheinlich, dass sie und die anderen Schreibfräulein in der harten Zeitungswelt ohne ihn überlebten. Auch sein Tod wäre ganz allein ihre Schuld. Wie Julianna es auch drehte und wendete: Sie würde die tödliche Kugel zwar nicht abfeuern, aber letztlich wäre alles nur ihre Schuld. Ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen.
Fünf.
Juliannas Herz drängte nun mit solch schmerzenden Schlägen gegen ihre Brust, dass ihr ganzer Körper sich erhitzte. Mit einer behandschuhten Hand öffnete sie ein, zwei Knöpfe an ihrem Hals.
Mit der anderen umklammerte sie Elizas Hand. Was geschah, wenn sie Knightly verloren? Was würde dann aus ihnen?
Sechs. Sieben. Acht.
Und was würde aus Roxbury? Er war auch viel zu jung und zu schön zum Sterben. Knightly übrigens auch, aber Juliannas Gedanken kehrten immer wieder zu dem erzürnten Roxbury zurück. Und sie hatte keine Ahnung, warum das so war.
Neun. Zehn.
Julianna biss sich auf die geballte Faust, um nicht laut loszuschreien.
Elf. Zwölf.
Und dann – so schnell, dass sie es verpasst hätte, wenn sie in diesem Augenblick geblinzelt hätte – drehten die beiden Männer sich um und feuerten.
Der Mann, der Bescheid wusste, hasste es, über Duelle berichten zu müssen. Dafür musste man vor Sonnenaufgang aufstehen und bis vor die Stadt oder in die entlegensten Ecken Londons fahren. Das war nicht gerade seine Vorstellung eines angenehmen Morgens, vor allem dann nicht, wenn der Morgen einem angenehmen Abend folgte, der in eine lange Nacht mit Bällen oder langem Glücksspiel am Kartentisch übergegangen war.
Sein Unmut wurde noch dadurch verschärft, dass dieser ganze Aufwand für ein Ereignis notwendig war, das allenfalls eine Minute dauerte. Man musste noch die Zeit für die Fahrt zu einem abgelegenen Feld hinzurechnen, und dann musste man durchs Gebüsch kriechen und auf die Ankunft der Beteiligten warten. Dann folgte die Festlegung der Konditionen, die Pistolen wurden von beiden Seiten geprüft, und so weiter und so fort. Für eine Minute Spannung, wenn überhaupt.
Nicht zum ersten Mal dachte der Mann, der Bescheid weiß, darüber nach, endlich in den Ruhestand zu gehen.
Kapitel 6
Am selben Abend auf Lady Walmslys Soiree
»Diese Duelle sind doch eine abscheuliche Angewohnheit«, verkündete Lady Stewart-Wortly einer Gruppe Zuhörer. Sie billigte nur sehr wenige Dinge, die nicht mit Anstand, Bescheidenheit und Gottesfurcht in Verbindung zu bringen waren. Und am liebsten erging sie sich in ständigen Klagen über die verurteilenswerten Sünden anderer. Man konnte das alles auch in ihrem Buch lesen: in Lady Stewart-Wortlys Alltägliche Andachte für fromme und feine Damen, das sie im Übrigen bei jeder sich bietenden Gelegenheit erwähnte.
Julianna fand sie allerhöchstens schrecklich langweilig.
»Manche Leute glauben einfach, ein Duell sei etwas Großartiges«, antwortete die junge Lady Charlotte, die Schwester des Duke of Hamilton and Brandon.
»Manche Leute sind auch Idioten«, erwiderte Lady Stewart-Wortly heftig.
»Das stimmt«, murmelte Lady Charlotte und erwiderte standhaft Lady Stewart-Wortlys Blick.
Lady Sophie Brandon, die Schwägerin von Charlotte, musste sich ein Grinsen verkneifen, und Julianna gab sich große Mühe, dem Gespräch möglichst unbeeindruckt zu folgen, was angesichts dessen, was sie am Morgen beobachtet hatte, nicht ganz leicht war.
Lord Wilcox, der ja bekanntlich eine gewisse Vorliebe für Damenunterwäsche hatte, schwebte dicht hinter ihr und nickte schwerfällig. Lord Walpole strich sich die grauen Haare zurück und trug eine desinteressierte Miene zur Schau, obwohl Julianna ganz genau sah, dass er aufmerksam lauschte. Nicht zum ersten Mal fragte Julianna sich, ob er womöglich der Mann war, der Bescheid wusste.
Offensichtlich waren Eliza und sie nicht die Einzigen gewesen, die sich im Gebüsch am Rand des Duellfelds versteckt hielten. Geschichten über das Duell hatten sich so schnell in der Stadt verbreitet wie damals das
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