Rivalen der Liebe
Große Feuer von 1666.
Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Mann, der Bescheid weiß, in seiner nächsten Kolumne davon berichten würde. Er schrieb für eine Tageszeitung, und seine Kolumnen erschienen an drei Tagen in der Woche. Deshalb konnte er mehr Geschichten bringen als sie. Und das wurmte Julianna gewaltig.
Noch viel mehr wurmte sie aber, dass er, nur weil er ein Mann war, Zugang zu Informationsquellen hatte, die ihr verboten waren. In die Zeitung hatte heute Morgen folgende Szene Eingang gefunden, wie Roxbury im White’s Herrenclub empfangen wurde:
Nachdem er die neuste Ausgabe der »Geheimnisse der Gesellschaft« gelesen hatte, in der es auch um ihn ging, stand Lord R- auf und machte den Anwesenden Avan… Nun, er sprach die anderen Peers im White’s an. »Ihr seid alle vor meinen Avancen sicher. Eure Frauen allerdings nicht!« Meine Damen, sagen Sie später nicht, Sie seien nicht gewarnt worden!
Nur wenige Zeilen in ihrer Kolumne hatten dieses fanatische Interesse an allem, was Roxbury betraf, geweckt.
»Wenn man ihn sich so anschaut, würde man kaum glauben, dass er noch heute Früh sein Leben aufs Spiel gesetzt hat«, bemerkte Lady Sophie und zeigte zu Roxbury herüber. Alle drehten sich um und schauten in seine Richtung. Er stand am Rand des Ballsaals und trug bis auf das weiße Hemd komplett Schwarz. Seine Augen waren düster, und der Blick wirkte sichtlich gelangweilt. Den Mund hatte er zu einem ironischen Lächeln verzogen. Mit einem Glas Brandy in der Hand stand er aufrecht und stolz da und wurde von allen anderen Gästen ignoriert.
Der Anblick raubte Julianna schlicht den Atem.
Normalerweise sah man Roxbury auf einem Ball ausschließlich in der Mitte des Geschehens und im Mittelpunkt; in der Rolle des strahlenden und charmanten Lebemannes, der er ja auch war. Belagert von gelangweilten Ehefrauen und jungen Witwen, die ihre neu gewonnene Freiheit genossen. Ein Schwarm kichernder Debütantinnen war auch nie weit. Frauen und Roxbury gehörten einfach zusammen, und es kam ihr grotesk vor, dass die Gesellschaft die Andeutungen in ihrer Kolumne wirklich glaubte.
Aber sie glaubten ihr, und jetzt stand dieser gutaussehende Charmeur am Rand, wurde offen von den fünfhundert Anwesenden geschnitten und wich doch keinen Zoll.
Ja, das war eindeutig bewundernswert und atemberaubend.
Und es machte ihr ein schrecklich schlechtes Gewissen. Mit wenigen, dahingeworfenen Worten war es ihr gelungen, aus dem Liebling der Gesellschaft einen Aussätzigen zu machen. Sie hatte nur daran gedacht, den Mann, der Bescheid weiß, zu übertrumpfen. Ihr war nie der Gedanke gekommen, dass ein paar spekulative Zeilen dazu führen konnten, einen allseits bewunderten Mann plötzlich alleine dastehen zu lassen. Roxbury war nicht glücklich, das sah Julianna ihm an, doch er war viel zu stolz, um still vor sich hinzubrüten oder sich zu Hause zu verstecken. Das hatte sie nicht gewollt, so viel Unglück anzurichten. Und noch nie zuvor hatte Julianna die zerstörerische Wirkung ihrer Kolumne so hautnah beobachten können. Ihr wurde richtig schlecht davon.
»Lady Hortensia Reeves scheint aber noch an ihm interessiert zu sein«, meinte Sophie. Tatsächlich starrte die Lady sehr offen und immer wieder zu dem aussätzigen Lord hinüber. Es war gut zu wissen, dass manche Sachen sich nie änderten: der englische Regen, der Sonnenaufgang am nächsten Morgen und Lady Hortensias tiefe und beständige Hingabe zu Roxbury.
»Hast du schon von ihrer neusten Sammlung gehört?«, fragte Lady Charlotte. »Jetzt sammelt sie Mistkäfer.«
»Du meine Güte«, murmelte Sophie.
»Na ja, jeder braucht eben ein Hobby«, sagte Julianna und zuckte mit den Schultern. Wenigstens brachten Insektensammlungen niemanden in Lebensgefahr. Von den Insekten einmal abgesehen. Aber das war nicht annähernd so schlimm wie wenn jemand angeschossen wurde.
Sie fragte sich, wie es Knightly wohl inzwischen ging. Roxbury hatte nicht gut gezielt, und jetzt hatte sich ihr geliebter Arbeitgeber ihretwegen eine Pistolenkugel und ein Wundfieber eingefangen.
Julianne nahm einen großen Schluck Champagner. Sie hatte die Konsequenzen ihres Tuns nicht vorhergesehen und wünschte sich jetzt sehnlichst, das alles wäre nicht passiert. Dann wäre Knightly jetzt wohlauf, Roxbury könnte flirten, und ihr Bauch würde nicht vor lauter Gewissensbissen schmerzen.
Lady Stewart-Wortly zelebrierte weiter ungehindert ihr Klagelied über die verkommenen Sitten, und ihre
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