Rivalen der Liebe
alle sich betrinken und schon halb ausgezogen durch die Gänge tanzen. Da findest du bestimmt mehr, worüber es sich zu schreiben lohnt, als in diesem dunklen, staubigen Gang.«
»Stimmt, aber vergiss nicht, dass ich gerade ein Paar in diese Richtung gehen gesehen habe und dass der Mann aussah wie Roxbury. Das könnte eine wunderbare Geschichte werden. Du weißt doch, wie er ist«, beharrte sie. Dass das nur die halbe Wahrheit war, verschwieg Julianna ihrem Begleiter wohlweislich. Sie wollte sich nur ungern in einer überfüllten Garderobe herumdrücken, in der ein halbes Dutzend Frauen sich in Unterwäsche tummelte und zwei Dutzend Männer sie mit Blicken verschlangen.
»Ich weiß, ich weiß«, meinte Alistair wegwerfend. »Aber vermutlich waren die beiden nur eine Statistin und der drittgeborene Sohn irgendeines verarmten Adeligen.«
»Mit anderen Worten: nichts Bemerkenswertes also«, sagte Julianna und unterdrückte ein Seufzen.
Das leise Grollen eines Männerlachens durchbrach die Stille. In der Dunkelheit warf Julianna ihrem Begleiter einen vielsagenden Blick zu. »Ich hab es dir doch gesagt«, schien sie damit sagen zu wollen. Gemeinsam schlichen sie näher und passten dabei auf, sich weiter im Schatten zu verbergen.
Ein Wandleuchter hoch oben in der Gasse spendete gerade genug Licht, um ein Paar zu offenbaren, das in inniger Umarmung beisammenstand. Nicht gerade ein klug gewählter Platz, wie Julianna fand – in einem Seitengang, noch dazu dicht neben einer Lichtquelle. Es gab sicher dunklere und anonymere Orte, um sich im Theatergebäude einem Techtelmechtel hinzugeben. Aber die Leidenschaft konnte einen bekanntlich so ziemlich an jedem Ort überkommen. Ihr eigener, bereits verschiedener Ehemann hatte sich von der Lust überwältigen lassen, als er seine Kutsche lenkte – und das war das Letzte, was er in seinem Leben tat. Tatsächlich hatte die Leidenschaft ihn sogar ziemlich häufig überwältigt, allerdings nie in ihrer Gegenwart.
Julianna schob die bösen Erinnerungen beiseite und näherte sich dem Paar, um die Identität der beiden zu enthüllen. Ja, vielleicht handelte es sich wirklich nur um Komparsen des Theaters. Doch wenn zufällig einer der beiden eine hochstehende Persönlichkeit war, würde sie darüber berichten müssen.
Was Julianna dann sah, entsetzte sogar sie.
Zwei Paar auf Hochglanz polierte, schwarze Reitstiefel. Zwei Paar in Hosen gehüllte Beine. Zwei weiße Hemden, die bereits halb aufgeknöpft waren. Zwei Jacken, die offen standen.
»Oh mein …«, hauchte Julianna atemlos.
Sobald sich ihre Augen an das gedämpfte Licht gewöhnt hatten, konnte sie auch die Position der beiden Personen erkennen. Die eine Person – groß und dunkelhaarig – hielt die andere von hinten an der Taille umfasst und zog ihren Partner dicht an sich heran. Und die andere … der andere … Seine Hände waren auf der Wand abgestützt, damit beide nicht das Gleichgewicht verloren. Er hatte das Kreuz durchgedrückt und das Gesicht nach hinten gewandt, um den Kuss seines geheimnisvollen, männlichen Liebhabers zu empfangen.
Julianna packte Alistairs Arm und drückte ihn schmerzhaft.
Das war mehr als nur skandalös.
Das war die Art von Gerücht, die ihren Ruf als beste Kolumnistin der Stadt zementieren würde.
Und nicht nur das: Ein solcher Artikel wäre ein empfindlicher Schlag für ihren Erzrivalen, den berühmten Klatschkolumnisten bei der London Times, der unter dem Namen »Einer, der sich auskennt« schrieb. Nie würde es ihm gelingen, diese Geschichte zu übertreffen!
Julianna verfluchte insgeheim ihren Schleier und trat einen Schritt vor, um besser hinsehen zu können. Dabei stolperte sie über einen Besen, den jemand achtlos gegen die Wand gelehnt hatte. Sie fluchte leise, als der Besen klappernd zu Boden fiel.
Das Paar zuckte zusammen und drehte sich instinktiv in ihre Richtung. Wer der aufrecht stehende Mann war, blieb für Julianna unerkannt, weil er sich hinter dem anderen duckte. Dank der Lampe über den Köpfen der beiden erkannte sie das Gesicht des anderen Mannes aber deutlich.
Herr im Himmel! Lord Roxbury trieb es mit einem Mann!
Der einzige Sohn eines Earls in intimer Umarmung mit einem Mann war eine echte Nachricht . In Gedanken begann Julianna bereits, ihre Kolumne zu schreiben.
Ist Londons berüchtigter Wüstling Lord R- die Frauen so gründlich leid, dass er sich jetzt dem stärkeren Geschlecht zuwenden muss? Tatsächlich, liebe Leser! Ihr werdet nicht glauben, was die
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