Rivalen der Liebe
schnell zur Normalität zurückzufinden. Er war sehr neugierig, was das wohl sein mochte.
Doch Roxbury sollte sich gewaltig irren: Während der nächsten Minuten saßen sie sich schweigend gegenüber, während die Kutsche munter durch London ratterte.
Als sie an der Burlington Arcade vorbeikamen, starrte sie aus dem Fenster, und er genoss ausgiebig den Anblick von Lady Somerset in Männerkleidung, ohne dass sie es bemerkte. Sie hatte das wirklich gut hinbekommen, stellte er voller Bewunderung fest: Die Stiefel waren auf Hochglanz poliert, die Hose passte perfekt, und das Hemd war blütenweiß und gestärkt. Die Krawatte war fachmännisch gebunden. Die Haare hatte sie aufgerollt und hochgebunden, weshalb man vermutlich nur einmal richtig am Band unter der Kappe ziehen musste, damit es ihr über die Schultern wallte. Ach, wie gerne er das jetzt tun würde!
Wie es sich wohl anfühlte, eine Frau aus Männerkleidung zu befreien?, überlegte er, und plötzlich wurde ihm heiß vor Lust.
An jenem Abend im Theater mit Jocelyn hatte er genau das im Sinn gehabt. Aber die Störung hatte sie veranlasst, lieber in ihre Garderobe zurückzugehen, wo angeblich bereits ein neuer Verehrer auf sie wartete.
Die Kutsche rollte weiter durch die Stadt, und als sie die Ecke am St. James Palast passierten, begann Roxbury sich vorzustellen, wie er Lady Somerset entkleidete. In Gedanken entfernte er die Männerkleidung Schicht für Schicht. Die gestärkte Krawatte musste zuerst weg. Dann folgte das Jackett. Die Weste hatte nur vier Knöpfe, das war deutlich weniger als bei einem handelsüblichen Kleid. Das Hemd würde er ihr einfach über den Kopf ziehen und zu Boden fallen lassen.
Ja, er wusste genau, wie man einen Körper möglichst schnell aus Kleidung befreite. Das war noch seine leichteste Übung. Die Erregung, die er dabei empfinden würde, konnte er beinahe körperlich spüren. Die Vorstellung genügte ja bereits. Aber wie es wohl in diesem speziellen Fall mit ihr war? Wenn er ihr das Hemd über den Kopf zog, was würde er dann sehen? Was würde er fühlen? Diese Frage brachte sein Blut zum Kochen.
Er hatte ja bereits ihre cremeweiße Haut gesehen und damit eine Vorstellung, wie der Rest ihres Körpers aussehen könnte. Nicht zuletzt deshalb, weil Lady Somerset ihre Kleider so auswählte, dass sie ihren Körper sehr vorteilhaft betonten. Dass sie volle Brüste und eine schmale Taille hatte, war also ein offenes Geheimnis. Aber wie weich war ihre Haut? Und wie würde sich der Schwung ihres Beckens unter seinen Fingern anfühlen?
Als Lord Roxbury sich kurz aus seinen Gedanken riss, entging ihm nicht, dass er nicht der Einzige war, der sein Gegenüber musterte: Lady Somerset beobachtete ihn ebenso aufmerksam, wie er sie gemustert hatte.
»Ihr starrt ja schon wieder, Roxbury«, wies sie ihn zurecht.
»Ihr seid nun mal eine schöne Frau, Lady Somerset«, erwiderte Roxbury schlicht. Das hatte er schon vor Langem erkannt. Etwas an ihren strahlend grünen Augen oder ihrer milchigen Haut oder ihrem unverschämten Mund zog ihn magisch an. Etwas an der Art, wie sie stets Haltung bewahrte – stolz, unnachgiebig und mit zurückgenommenen Schultern, was im Übrigen ihr Dekolleté nur noch schöner zur Geltung brachte.
»Ich würde ja sagen, Ihr seht auch sehr gut aus, aber Ihr seid Euch dieser Tatsache nur allzu bewusst«, sagte sie. »Das Letzte, was Ihr braucht, ist ein weiteres Kompliment, damit Euch der Kamm endgültig schwillt.«
Er verstand ihre Worte so, dass sie ihn durchaus attraktiv fand, sich aber lieber die Zunge abbeißen würde, ehe sie das offen zugäbe.
»Das klingt bitter …«, sagte er. Und zum ersten Mal fragte er sich, ob er irgendwann schon einmal etwas gesagt oder getan hatte, das ihre Abneigung hervorrief. Irgendwas Schwerwiegendes musste vorgefallen sein, denn sie verabscheute ihn mit solcher Kraft … Oder steckte womöglich etwas anderes hinter ihrer ablehnenden Haltung?
»Ich bin nicht verbittert«, protestierte Julianna. Das war lächerlich, denn sie wussten beide, dass das nicht stimmte.
»Habe ich irgendwas Falsches gesagt oder getan? Wart Ihr schon immer so, oder hat der alte Somerset ein junges, hübsches Mädchen so gründlich ruiniert?«
Kapitel 16
Julianna hatte eine so persönliche Frage und so viel Scharfsinn von Roxbury nicht erwartet.
Der »alte Somerset« war tatsächlich noch sehr jung gewesen, als sie sich von ihm hatte erobern lassen. Jung, strahlend und unverschämt gutaussehend. Und er
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