Rivalen der Liebe
hatte ihr gehört. Ihr allein. Nein, falsch , korrigierte Julianna sich in Gedanken, Harry hatte nur dem Namen nach ihr gehört. Er war die größte Dummheit, die das Herz einer Siebzehnjährigen begehen konnte. Und er war die Quelle des größten Liebeskummers, den eine Frau durchleiden konnte.
Selbst jetzt spürte sie noch ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust, wenn sie an ihn dachte. Die strahlende, feurige Liebe, die sie einst für ihn empfunden hatte, war zu Staub zerfallen, sobald das erste Lodern erstorben war.
Julianna blickte finster zu Roxbury herüber, der sie neugierig anschaute. Sie konnte nichts von alledem schlüssig erklären – derlei Dinge konnte man nicht laut aussprechen. Schon gar nicht ihm gegenüber.
Dieselbe Geschichte hatte sich schließlich seit ewigen Zeiten immer wieder in den Salons dieser Stadt abgespielt: Ein hübsches Mädchen begegnet einem strahlenden Wüstling. Romantik, Geheimnis, Zauber überwältigen sie. Und es folgt eine verrückte und leidenschaftliche Flucht nach Gretna Green zu einer überstürzten Trauung, ohne dass einer der beiden weiter über die sich daraus ergebenden Konsequenzen nachdenkt.
Julianna erinnerte sich noch gut an die Nacht, in der Somerset starb. Wie es seine Gewohnheit war, hatte er sich kurz nach dem Aufwachen, was gewöhnlich am späten Nachmittag der Fall war, bereits von ihr verabschiedet und war davongeritten. Sie hatte am Feuer gesessen, ganz die stoische, zurückhaltende Lady. Natürlich hatte sie sich gefragt, wohin er verschwunden war, mit wem und vor allem welchen entarteten Aktivitäten er sich an jenem Abend wohl hingeben würde. Gerüchteweise hatte sie gehört, Somerset habe sich jetzt dem Opium zugewandt, sei oft auf Orgien anzutreffen und treibe dabei wer weiß was. Sie war dankbar, dass die Leute tratschten, denn wie sonst hätte sie erfahren können, was ihren Mann umtrieb?
Gelegentlich war Julianna mit Freundinnen zu Soireen gegangen, aber das Flüstern hinter ihrem Rücken und die mitleidigen Blicke hatten sie schier wahnsinnig gemacht vor Wut. Deshalb blieb sie damals lieber zu Hause und versuchte durch angestrengtes Nachdenken herauszufinden, warum alles so furchtbar falsch gelaufen war, weshalb Somerset ihr entglitten war. Sie hatten sich doch so sehr geliebt – wenigstens zu Anfang!
Später an jenem Abend erklang ein verhängnisvolles Klopfen an der Tür, und so erfuhr sie von dem Unfall. Somerset, eine Hure und eine nicht geringe Menge Alkohol hatten zu einer umgestürzten Kutsche und seinem Tod geführt.
Abgesehen von der grauenvollen Befriedigung, die diese Nachricht für sie mit sich brachte, war es also ein ganz normaler Abend gewesen.
Das Verlesen seines Letzten Willens hatte sich so skandalös gestaltet wie sein Ableben: Somerset hinterließ den Großteil seines verfügbaren Vermögens diversen Mätressen und seinen unehelichen Nachkommen. Für seine Frau blieb nur eine bescheidene Leibrente in Form einer jährlichen Zuwendung und eines kleinen Häuschens in dem einst sehr beliebten, inzwischen aber heruntergekommenen Viertel Bloomsbury; ein skandalbehafteter Name, der auf Wiederherstellung seines guten Rufs hoffte – und eine schwer verdiente Freiheit.
Julianna hatte von Anfang an darauf geachtet, ihr mageres Einkommen mit Schreiben aufzubessern – sie wollte sich lieber auf ihren eigenen Verstand verlassen, als ihre Familie um Hilfe zu bitten. Nicht zuletzt deswegen, weil die ohnehin immer gegen die Verbindung gewesen waren. Nach Somersets Tod hatte Julianna sich geschworen, sich – und ihr Schicksal – nie wieder an einen Mann zu binden.
Roxbury hatte also insofern recht: Sie war vor langer Zeit ein unbeschwert lachendes, junges Mädchen gewesen. Als Kind hatte sie es geliebt, wenn ihre Mutter ihr als Gutenachtgeschichte aus den Briefen die neusten Skandale aus den besseren Kreisen vorlas. Sie war mit Sophie zusammen aufgewachsen; die Mädchen waren gemeinsam unterrichtet worden und hatten gemeinsam Streiche ausgeheckt. Schon früh hatte sie die Sehnsucht nach strahlend schönen, liebevollen Ehemännern verbunden.
Somerset aber hatte das Funkeln aus ihren Augen gewischt, indem er ihre wahre Liebe für sie in ein Gefängnis verwandelt hatte. Julianna atmete tief aus. Eine solche Enttäuschung würde wohl jede Frau scharfzüngig und bitter machen, und jede Frau wäre auf der Hut, um nicht ein zweites Mal ihre Seele zu verschenken und ihr Herz zu verletzen.
Aber das alles wollte sie Roxbury nicht
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