Rivalin der Götter erbin3
dass dir etwas davon entgeht.«
Bei diesen Worten runzelte ich die Stirn und stützte mich auf einen Ellenbogen. Sie fuhr mit den Fingern durch ihr kurzes Haar, als ob sie es wieder gerade richten wollte. Einhundert Jahre und immer noch wie eine Sterbliche: ein richtiger Gott hätte sein Haar mit purer Willenskraft geordnet. Sie bemühte sich nicht, den selbstgefälligen Ausdruck auf ihrem Gesicht zu verbergen, als ich sie musterte.
»Du führst doch Unfug im Schilde«, sagte ich und kniff die Augen zusammen.
»Stimmt. Wirst du mich segnen?« Sie stand auf und stand grinsend da, eine Hand in die Hüfte gestemmt. »Remath Arameri ist so interessant wie ihre Kinder. Mehr sage ich jetzt nicht.«
»Remath Arameri ist böse, und ich würde sie töten, wenn Shahar sie nicht so sehr liebte.« Kaum hatte ich das ausgesprochen, hob Yeine eine Augenbraue. Ich zog eine Grimasse, als mir klar wurde, wie viel ich gerade preisgegeben hatte – nicht ihr, sondern mir selbst gegenüber. Denn wenn ich Shahar genug liebte,
um ihre grauenvolle Mutter zu tolerieren, dann liebte ich sie genug, um ihr zu vergeben.
»Dummer Junge«, sagte Yeine mit einem Seufzer. »Du machst dir die Dinge nie leicht, oder?«
Ich versuchte, einen Witz zu machen, obwohl es schwerfiel, das Lächeln herbeizuzaubern. »Nicht, wenn die schweren Dinge mehr Spaß machen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du wärst heute beinahe gestorben.« »Ach was.« Ich zuckte zurück, als sie mir in die Augen sah. »Alles ist doch in bester Ordnung!«
»Nein, das ist es nicht. Oder sollte es nicht sein. Doch hast du immer noch das Glück der Götter, ganz gleich, wie sehr der Rest von dir sich verändert hat.« Plötzlich wurde sie ernst. »Eine gute Mutter möchte nicht nur, dass ihre Kinder in Sicherheit sind, sondern auch, dass sie glücklich sind, Si’eh.«
»Äh …« Unwillkürlich spannte ich mich ein wenig an und fragte mich, wovon sie sprach. Sie war nicht so eigenartig wie Naha, doch ihre Gedanken gingen kreuz und quer, und manchmal konnte ich ihr nicht folgen, da ich in einem sterblichen Geist gefangen war. »Das ist gut, nehme ich an …«
Yeine nickte. Ihr Gesicht war regungslos. Dahinter wirbelten nicht nachvollziehbare Gedanken. Dann warf sie mir wieder einen dieser Blicke zu. Ich blinzelte überrascht, weil darin eine Wildheit lag, die ich von ihr seit mindestens einer sterblichen Lebensspanne nicht mehr gesehen hatte.
»Ich werde dafür sorgen, dass du glücklich wirst, Si’eh«, sagte sie. »Wir werden das erreichen.«
Nicht sie und Naha. Ich wusste, was sie meinte, so wie ich wusste, dass das Wort der Drei Gesetz war. Und obwohl die Drei sich in der Zeit seit ihrem Aufstieg nicht mehr vereint hatten, war sie immer noch eine von ihnen. Teil eines größeren Ganzen. Wenn alle drei dasselbe wollten, dann sprach jedes Mitglied mit der Stimme aller.
Geehrt beugte ich meinen Kopf. Doch dann runzelte ich die Stirn, als ich verstand, was sie noch sagte. »Bevor ich sterbe, meinst du.«
Sie schüttelte den Kopf. Jetzt war sie wieder für sich allein. Sie beugte sich zu mir und legte mir eine Hand auf die Brust. Ich spürte das winzige Beben ihres Fleisches für einen kurzen Moment, bevor meine Sinne sich vernebelten und ich sie nicht mehr wahrnahm. Doch ich war für diese Kostprobe dankbar. Sie hatte kein Herz, meine wunderschöne Yeine, doch sie brauchte auch keins. Puls, Atem, Leben und Tod des gesamten Universums waren ein mehr als ausreichender Ersatz.
»Wir alle sterben«, sagte sie leise. »Früher oder später. Wir alle. Sogar Götter.« Dann, bevor ihre Worte die Melancholie, die ich beinahe überwunden hatte, zurückbrachten, kniff sie ein
Auge zu. »Doch mein Sohn zu sein sollte dir einige Vorteile verschafen.«
Mit diesen Worten verschwand sie. Zurück blieb nur das abkühlende Kitzeln der Wärme, wo ihre Finger auf meiner Brust gelegen hatten, und die erneuerten, sauberen Lumpen meines Nests. Ich legte mich hin und freute mich, dass sie auch ihren Geruch hinterlassen hatte, der aus Nebel, versteckten Farben und der Liebe einer Mutter bestand. Und einem Hauch – mehr war es nicht – Leidenschaft einer Frau.
Das genügte. Ich war getröstet und schlief gut in dieser Nacht.
Aber erst nachdem ich ungehorsam eine Stunde oder mehr wachgelegen und mich gefragt hatte, was Yeine wohl vorhatte. Ich konnte mir eine gewisse Aufregung nicht verkneifen. Jedes Kind liebt Überraschungen.
»Danke für euer Erscheinen«, sagte Remath.
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