Rivalin der Götter erbin3
während ich das alles ebenso ehrfürchtig wie besorgt verarbeitete, wurde mir klar, was es bedeutete. Gottkinder konnten zu Göttern werden? Hieß das nicht auch, dass Götter zu so etwas wie dem Mahlstrom werden konnten? Und würden Sterbliche, wenn es ihnen irgendwie gelang, so lange zu leben, zu Gottkindern werden?
Ich konnte darüber nicht nachdenken, es war zu viel. »Wieso sagt Ihr, dass Ihr ihn verloren hättet, auch wenn er nicht gestorben wäre?«
»In diesem Reich kann es nur drei Götter geben. Wenn Si’eh überlebt und seine Bestimmung erlangt hätte, wäre er von seinen Vätern und mir weggeschickt worden.«
Tod oder Exil? Was wäre mir lieber gewesen? Keines von beiden.
Ich will ihn zurückhaben und Deka auch. »Aber wohin wäre er gegangen?«
»An einen anderen Ort.« Sie lächelte, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. Einen Moment lang wirkte sie so verschmitzt wie Si’eh. »Dachtet Ihr, es gäbe nichts außer diesem Universum? Dort draußen ist noch so viel.«
Ihr Lächeln wurde schwächer. »Es hätte ihm gefallen, all das zu erforschen, solange er nicht allein gewesen wäre.«
Die Göttin der Erde sah mich an, und mit einem Mal verstand ich. Si’eh, Deka und ich; Nahadoth, Yeine und Itempas. Die Natur besteht aus Zyklen, aus Mustern, aus Wiederholungen. Deka und ich hatten Si’ehs Übergang zum Erwachsensein ausgelöst – entweder zufällig oder erzwungen, das würde ich niemals erfahren. Und vielleicht wäre er, wenn der Kokon seines sterblichen Lebens aufplatzte und das neue Wesen enthüllte, nicht der Einzige gewesen, der sich verwandelt hätte.
Wäre ich mit ihm und Deka gegangen, um in einem anderen Kosmos zu herrschen?
Das waren nur noch Träume, so wie zerbrochene Steine.
Yeine klopfte sich den Staub von der Hose, streckte sich und seufzte. »Ich muss gehen.«
Ich nickte. »Wir werden Euch weiter dienen, Lady, ob Ihr hier seid oder nicht. Welche Gebete sollen wir für Euch im Morgengrauen und in der Abenddämmerung sprechen?«
Sie warf mir einen seltsamen Blick zu, als wolle sie sich versichern, dass ich nicht scherzte. Das tat ich nicht. Es schien sie zu überraschen und zu verwirren. Sie lachte, aber es klang ein wenig gezwungen.
»Sagt, was Ihr wollt«, erklärte sie schließlich. »Vielleicht hört jemand zu, aber das werde nicht ich sein. Ich habe Besseres zu tun.«
Sie verschwand.
Nach einer Weile ging ich zurück zum Palast und zum Tempel. Dort löste sich die Versammlung endlich auf. Händler, Adlige
und Schreiber trieben in kleinen Grüppchen, wie Laub auf dem Wasser, die Gänge hinunter und stritten sich. Sie ignorierten mich, als ich am Eingang des Tempels stehen blieb.
»Danke für Eure Abwesenheit«, sagte Lady Nemmer. Sie wirkte verstimmt. »Wir haben exakt eine Sache über die Bühne bekommen, abgesehen davon, dass wir das Datum für das nächste sinnlose Trefen festgelegt haben.«
Ich belächelte ihre schlechte Laune. Sie warf mir einen finsteren Blick zu, und für einen Moment schienen lange Schatten über dem Gang zu hängen. Doch sie war nicht wirklich wütend, also fragte ich: »Und welche Sache?«
»Wir haben einen Namen ausgesucht.« Sie winkte verärgert ab. »Einen hochtrabenden und unnötig poetischen Namen, aber Kitr und ich waren nur zu zweit gegenüber weitaus mehr Sterblichen, deshalb konnten wir ihn nicht abschmettern. Aeternat. Das ist eines unserer Worte. Es bedeutet …«
Ich unterbrach sie. »Das muss ich nicht wissen, Lady Nemmer. Bitte teilt der Person, die für dieses Aeternat spricht, mit, dass sie mir Bescheid geben soll, wenn die Zeit für die Übergabe der Streitkräfte und Finanzen gekommen ist.«
Sie sah mich ehrlich überrascht an, nickte aber nach einem Moment. Wir drehten uns um, als jemand im Gang meinen Namen rief: Datennay. Er hatte der Sitzung des Aeternats beigewohnt. Ich würde ihn rasch dazu bringen müssen, das zu unterlassen, schließlich war er mein Ehemann. Hinter ihm stand Ramina. Er betrachtete mich mit einer ernsten Trauer im Blick, die ich nur allzu gut verstand. Unsere Blicke trafen sich über den Köpfen einiger streitender Priester. Er lächelte unerwartet und nickte zustimmend. Das wärmte mein Herz. Ich würde sein wahres Siegel bald entfernen müssen.
Und ich musste Morad eine Nachricht übermitteln. Sie hatte ihre Stellung aufgegeben und war nach Hause ins südliche Senm zurückgekehrt. Das überraschte niemanden, aber ich hofte, dass
ich sie eines Tages überzeugen würde, zurückzukehren.
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