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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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im Sinne von angesammelter Weisheit, eher schlau wie der größte Witzbold und Klassenclown, das Mädchen mit der bösesten Zunge der ganzen Schule.
    »Carrie hat mir diesen Zeitungsartikel gezeigt«, sagte sie und faßte sich mit beiden Händen ins Haar, wie um es in den Griff zu bekommen, Strähne für Strähne, so als wollte sie Beeren von einem Busch pflücken. »Ich fand ihn ziemlich anrührend – ich meine, was die da über dich geschrieben haben.« Sie verstummte. Ließ den Blick ihrer grünen Augen durchs Zimmer schweifen und wieder zurückkehren. »Du mußt viel durchgemacht haben.«
    Katherine senkte den Kopf. Dies war der erste Ausdruck von Mitgefühl, den sie seit Jahren vernommen hatte, und sie hätte am liebsten laut zu weinen angefangen, sich auf die Brust geschlagen, dieser Frau ihren Kopf in den Schoß gelegt und so lange geschluchzt, bis all die Gemeinheiten und Antipathien der McCormicks und ihrer Schergen von ihr abgetropft waren, die ganze Heftigkeit ihres Kampfes um Stanley und seine Pfleger und die Last von Riven Rock, die Verlassenheit, eine Ehefrau ohne Mann zu sein, ewig das fünfte Rad am Wagen bei dieser Feier und jener. ( Mrs. McCormick , riefen sie, Mrs. McCormick, sollen wir Ihnen eine Droschke rufen? – was für ein Witz.) Sie konnte nicht antworten. Sie versuchte es, aber es kam nichts heraus.
    Jane saß direkt neben ihr, sie konnte die exotische Schwüle ihrer Haarwurzeln riechen und die Wärme ihres Oberschenkels spüren, der sich gegen ihren drückte, und irgendwie legte sich Janes Arm um ihre Schulter und wiegte sie ganz behutsam hin und her, bis Katherine nur noch an das Ruderboot denken konnte, das sie als Kind auf dem Lake Michigan gehabt hatte, und an die leise Brise, die damals von weit her aus Minnesota oder Kanada geweht war, nur um das Boot sanft zu schaukeln, nur um sie zu wiegen.
    »Hör mal«, murmelte Jane und wandte ihr das Gesicht zu, und auf einmal hätten alle anderen Frauen im Raum ebensogut auf einem anderen Planeten sein können, so wenig nahm Katherine von ihnen wahr, »ich weiß, was du gerade durchmachst, ehrlich. Als Fred gestorben ist, war ich erst fünfundzwanzig, ohne Kinder, meine Eltern tot, und seine Familie hat mich behandelt wie eine Verbrecherin, so als wäre ich schuld an seinem Herzleiden gewesen – ungeachtet der Tatsache, daß er fast sechzig war und schon zwei Infarkte hinter sich hatte. Für die war ich eine Fremde, sonst nichts, und als das Testament verlesen wurde, da war es, als würde ein Topf überkochen, und wenn Blicke töten könnten...«
    Jane versetzte ihr einen abschließenden Klaps, rutschte ein Stück beiseite und wühlte in ihrer Handtasche. Katherine war verdattert. Es schien, als läse diese Frau ihre geheimsten Gedanken, als hätte sie dieselbe Sorte von gefühlskalten, geldversessenen angeheirateten Verwandten, als ob... aber das war es auch schon. Ihr Mann lebte ja noch, und es konnte der Tag kommen, an dem er wieder gesund würde und sie glücklich zusammenlebten wie jedes andere Paar.
    »Tut mir leid, daß ich so gejammert habe.« Jane hatte sich wieder in den Sessel gesetzt und hielt jetzt etwas in der Hand, das im Licht des Kaminfeuers aufblinkte. Es war ein Zigarrettentui, wie Katherine sah, silbern und mit Janes Initialen – J.B.R. – in Gold auf dem Deckel. »Rauchst du?« fragte Jane so beiläufig wie nur möglich.
    »Rauchen?« Katherine hatte sich noch kaum gefangen. »Du machst wohl Witze?«
    »Nein, überhaupt nicht.« Und Katherine beobachtete fasziniert das sich entfaltende Ritual: das lässige Aufklappen des Etuis, das Antippen der Zigarette, das Aufflammen des Streichholzes und schließlich das lange, langsame Inhalieren, bei dem sich die Haut an Janes Kehle spannte, so als saugte sie den Odem des Lebens selbst ein. »Wie kommt es wohl«, begann Jane, während sie aus Mund und Nasenlöchern fahle Schleier von blauem Qualm ausstieß, der süß und scharf zugleich roch, wie im Rinnstein schwelendes Laub, »wie kommt es, daß Männer in der Öffentlichkeit rauchen dürfen und Frauen nicht?«
    »Tja«, und Katherine überprüfte rasch, daß jede Frau im Zimmer sich hart anstrengte, sie nicht anzustarren, »das tun wir einfach nicht, jedenfalls nicht in unserer Schicht. Unter Näherinnen oder so mag das vielleicht anders sein...«
    Jane runzelte die Stirn. »Und in Paris?«
    »Das ist etwas ganz anderes.«
    »Ach?« Und da war ihr schlauer Blick, der Blick des Mädchens, das alle Regeln umging und clevere

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