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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Botschaften von einer Schulbank zur nächsten leitete, sobald die Lehrerin kurz den Rücken kehrte. »Weißt du« – wieder stieß sie den Rauch aus –, »ich glaube, was mir an dieser kleinlichen Männerherrschaft und ihrem großartigen Wahlrecht, ihrem Vermögensrecht und dem ganzen Rest am allermeisten auf die Nerven geht, das ist die Unlogik der Geschichte – wie bequem und nützlich es doch ist, unser Geschlecht gegen uns auszuspielen: ›Oh, aber Rauchen ist nicht damenhaft.‹ Na, ist es etwa damenhaft, wählen zu gehen, Hosen zu tragen oder Fahrrad zu fahren? Ist es damenhaft, Vermögenssteuern zu zahlen wie jeder andere Bürger auch oder am Wahltag mit dabeizusein – und irgendeinem Analphabeten aus Ballyshannon zuzusehen, wie er zur Urne torkelt, oder noch schlimmer: wie er seine Stimme für zwei Glas Whiskey verhökert? Na?«
    Die halblauten Unterhaltungen waren kurzfristig erloschen, als Jane das kleine Röllchen aus gepreßten Blättern in den Mund gesteckt und entzündet hatte, jetzt aber setzte der Chor der Stimmen wieder ein.
    »Seht mal, es wird heller«, bemerkte eine.
    »Ach, tatsächlich?«
    »Ja, seht nur da drüben, über dem Wasser.«
    »Gerade rechtzeitig für das Feuerwerk – es gibt doch ein Feuerwerk, oder, Lavinia?«
    Katherine bemühte sich um Gelassenheit. Weshalb war sie so aufgeregt? Sie war schon öfter mit Raucherinnen zusammengewesen, als sie zählen konnte – in Paris, Genf, Wien. »Ganz und gar meine Meinung«, sagte sie schließlich und sah in die spöttischen grünen Augen, »aber das Wählen ist eines – oder auch die Frage des Hosentragens oder Radfahrens, oder diese lächerliche Geschichte mit dem Damensitz beim Reiten –, und etwas ganz anderes ist eine persönliche Angewohnheit, die viele Menschen, Männer und Frauen, tadelnswert finden...«
    »Hast du es je probiert?«
    Wurde sie rot? Achtunddreißig Jahre und immer noch schamhaft wie ein Schulmädchen? Sie erinnerte sich an die Schweizer Sommer in Prangins und an Lisette. »Also, um ehrlich zu sein« – plötzlich mußte sie kichern –, »ja, einmal schon.«
    Wortlos ließ Jane das silberne Etui aufschnappen und hielt es ihr hin, und Katherine nahm an, wählte eine Zigarette, beugte sich dem aufflammenden Streichholz entgegen, sog den ersten scharf-süßen Rauch ein. Sie inhalierte. Sah Jane in die Augen. Fast augenblicklich mußte sie husten, überall war Rauch, sie spie ihn aus wie ein Schornstein, sie hustete und hustete. Und dann kicherten sie beide und fächelten sich den Qualm zu, steckten in einer dicken Wolke die Köpfe zusammen, Jane fügte ihren Rauch noch dazu, ein ganzer Wirbelwind aus Rauch, ein Vesuv, jetzt sammelten sich auch ein paar von den anderen um das Sofa, in ihren Augen glänzte der Triumph des Tages und das verwegene Gefühl, das er ihnen beschert hatte: sie hatten die Schranken durchbrochen, die Schleusen geöffnet, und jetzt gab es kein Zurück mehr. »Kann ich auch eine haben?« bat Carrie, und darüber lachten alle, aber dann nahm Carrie wirklich eine, das Ritual wurde erneut vollzogen, das Silberetui und die ordentliche Reihe weißer Zigaretten, die Köpfe der beiden Frauen trafen sich über dem Opferfeuer, und Maybelle Harrison griff ebenfalls zu, und bald saßen alle Frauen im Raum hustend und lachend da, hustend und lachend.
    In diesem Moment zischte die erste Rakete am Ende des Piers der Littlejohns ab, ein Lichtblitz vor der Silhouette einer vorbeihuschenden männlichen Gestalt, die der Gärtner, der Chauffeur oder gar der bisher verborgene Mr. Littlejohn selbst sein mochte. Hoch empor fuhr sie, funkensprühend, um in einer Blüte aus Feuer über dem dunkel brodelnden Wasser zu explodieren, und alle rannten ans Fenster und klatschten Beifall. »Weißt du«, Jane packte Katherine am Arm, während die nächste Rakete unter künstlichem Donnerkrachen pfeilgerade in die Höhe pfiff, »eigentlich ist es gar nicht so schlecht.«
    Katherine sah sie fragend an. »Was?«
    Das Grinsen, der Blick, die schönen, unbeirrbaren, schlangenartigen Locken. »So früh schon Witwe zu werden.«
    Und dann ging noch eine Rakete los und noch eine.
    Im Dezember kehrte Katherine nach Kalifornien zurück. Es war ein aufregendes, hektisches Jahr gewesen, mit dem Marsch der Frauen im März, den Demonstrationen im Sommer, dem Treffen des Internationalen Dachverbandes der Frauenrechtlerinnen in Budapest (dessen Vorsitz ihr Carrie angetragen hatte), und sie war seit dem letzten Jahr um diese Zeit, zu

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