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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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draußen vor dem Hotel, die ganze Gruppe, tranken Champagner aus einem Eiskübel und spielten eine endlose schleppende Partie Croquet, und alle zugleich sahen sie zu der eindrucksvollen Gestalt auf, die da über den Rasen schritt, vom Stall her kommend, wo er sein Automobil eingestellt hatte.
    »Gütiger Gott, was war denn das ?« rief Ambler Tretonne aus, als Stanley wieder außer Hörweite war. Ambler war zweiunddreißig, mit einem breiten nichtssagenden Gesicht und einem Schmollmund, der ihn aussehen ließ wie einen dieser Fische, die sich aufblasen, wenn sie aus dem Wasser gezogen werden, und er war volle acht Zentimeter kleiner als Katherine. Als er vor fünf Jahren Patricia geheiratet hatte, war die Papiermühlendynastie seines Vaters eine vorteilhafte Beziehung zu der Tageszeitungskette ihres Vaters eingegangen.
    »Ein unverzagter Motorist, kein Zweifel«, gab Butler Ames zurück, der über einer blankgeputzten Croquetkugel stand und seinen Freunden das verschmitzte Gesicht entgegenhob. »Der nach einem schweren Tag vom Küheverschrecken heimkommt.«
    Und Katherine? Sie erkannte ihn nicht wieder, nicht sofort und nicht auf Anhieb, aber wie denn auch? Sie war zwölf gewesen, als sie Stanley zum letztenmal gesehen hatte, und jetzt war sie achtundzwanzig, reif und erwachsen, die einzige Absolventin von Miss Hersheys Schule, die nicht verheiratet, verwitwet oder tot war.
    Stanley aber erkannte sie wieder. Er betrat den Speisesaal um Punkt sieben Uhr, in Abendgarderobe, mit gebräuntem Gesicht und blitzenden Zähnen, einen Kopf größer als jeder andere im Raum, und als er von der Speisekarte hochsah, fing er ihren Blick auf; sie saß in der Ecke mit Butler Ames und den anderen, und jedesmal, wenn sie zu ihm hinübersah, fixierten sie seine blaßblauen Augen. Nach dem Abendessen, als jedermann unter Siebzig sich zum Genuß von Eis, Dessert, Drinks und Tanzvergnügen in den Ballsaal zurückzog, spürte er sie mit Hilfe von Bettys Bruder Morris Johnston auf. Sie hatte eben einen Rag mit Butler Ames getanzt und rang noch etwas nach Luft, war leicht beschwipst nach dem einen Glas Wein, das er ihr aufgenötigt hatte, als plötzlich etwas in Butlers Miene sie aufblicken ließ.
    Da stand Morris mit diesem Hünen von Mann – einem Mann, der gut zu ihrer eigenen Körpergröße paßte, was sich von Butler Ames mit seinen eins siebenundsechzig ganz gewiß nicht sagen ließ, und dieser Mann – Stanley – hatte ein diskretes, hintergründiges Lächeln aufgesetzt, als hätte er soeben ein kompliziertes Problem gelöst. »Ich kenne Sie«, sagte er, noch bevor Morris sie einander vorgestellt hatte. »Haben Sie nicht früher in Chicago gelebt?«
    Stanley gesellte sich ihrer Gruppe hinzu, und obwohl Butler Ames pausenlos um sie herumscharwenzelte, quasselte und klugscheißerte, war er auf einmal nur noch eine kleinere Irritation an der Peripherie ihres Bewußtseins, wie ein Insekt vom Typus Culex pipiens pipiens . Während die Kapelle spielte, eine Pause einlegte und dann weiterspielte, war sie in Erinnerungen versunken, die sie weit zurück in ihre Chicagoer Kindheit trugen, als ihr Vater noch lebte und ihr Bruder auch und es keine Probleme auf der Welt gab, die eine gute Prüfungsnote oder ein paar Tanzstunden nicht hätten lösen können. Stanleys Gedächtnis war erstaunlich. Er wußte noch jede Einzelheit dieser Tanzstunden, bis hin zu den Namen und Adressen von fast allen Jungen und der Hälfte der Mädchen, und er entsann sich des ersten Tages, an dem Monsieur LaBonte seine Schützlinge einander nach der Körpergröße zugeteilt hatte und sie sich zum erstenmal begegneten.
    »Mein Gott«, sagte sie, »das ist sechzehn Jahre her. Ist denn das zu glauben?«
    »An jenem Nachmittag hat es geschneit«, sagte er. »Fünfzehn Zentimeter.«
    »Erstaunlich, Ihr Gedächtnis ist wirklich erstaunlich.«
    Er lächelte nur, und da zeigte sich der scheue Stanley, der sich selbst bescheiden zurücknahm und nie viel Worte um die eigene Person machte. Er hätte sagen können: »Ja, und inzwischen habe ich übrigens mit Auszeichnung in Princeton abgeschlossen und leite jetzt gemeinsam mit meinen Brüdern unser Mähmaschinen-Unternehmen.« Oder: »Aber ich habe doch jeden Grund, mich zu erinnern – wie könnte ich Sie vergessen?« Diesen Weg hätte Butler Ames eingeschlagen. So wie auch jeder andere dieser schwer atmenden Junggesellen, die sie umschwärmten wie eine Mückenwolke, sobald sie einmal ihre Bücher beiseite legte und sich in

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