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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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als steckte die Schwester irgendwo in einem Schneesturm, dabei saß sie sicher in der Obhut ihrer Ärztin auf einem großen, prachtvollen Anwesen in Arkansas. Erst als sie zum zweitenmal an ihrem Haus vorbeikamen – Stanley war inzwischen schweißnaß, und die Nachbarn warfen ihnen Blicke zu, manche schockiert, andere nervös, wieder andere belustigt –, wurde Katherine allmählich klar, worauf er hinauswollte.
    Sie hüpfte neben ihm her und versuchte dabei, ihm ins Gesicht zu sehen, ihr Atem ging schnell, und ihre Laune war langsam am Tiepfunkt, doch es gelang ihr, eine kleine gekeuchte Rede zu halten. »In meiner Familie gibt es keine Geisteskrankheiten, Stanley«, preßte sie beim Luftschnappen hervor. »Weder mütterlicher- noch väterlicherseits, also sind die Chancen sehr gering, daß unsere Kinder solche Probleme bekommen, falls du dich deshalb sorgst – ist es das?«
    »Sie ist krank«, sagte er, ohne das Tempo zu verlangsamen. »Sehr krank.«
    »Ja«, stieß sie hervor, »ich weiß, und es ist auch ganz richtig, daß du das zur Sprache bringst, jetzt da wir heiraten werden, aber ich begreife nicht recht... können wir hier nicht einmal stehenbleiben, nur eine Minute lang?«
    Es war, als hätte sie mit einer Flagge gewinkt oder heftig an einer Leine gezogen – er blieb ebenso abrupt stehen, wie er losgerannt war, die Füße dicht nebeneinander, einen Arm in den ihren geschoben; Schweiß stand ihm auf der Stirn, und auf seiner Hutkrempe zeichnete sich ein dunkler Nässebogen ab. »Das ist noch nicht alles«, sagte er und sprach dabei nicht zu ihr, sondern zu dem Boden unter seinen Füßen. »Das Schlimme sind meine Genitalien.«
    »Deine was ?« Sie waren vor einem Garten voller Rosen stehengeblieben. Bienen bohrten sich in die Blüten. Der Duft der Blumen wehte auf die Straße. Alles hatte einen Beiklang von Ruhe und Normalität – bis auf Stanley. Stanley zog Grimassen und starrte auf seine Schuhe. Und auch das wäre kein Problem gewesen, wenn nicht gerade zwei elegante junge Damen unter einem Spalier aus weißen und roten Rosen aus dem Garten getreten wären, sie beide mit prüfendem Blick gemustert und dann brüsk einen Bogen um sie geschlagen hätten.
    »Meine Genitalien«, wiederholte Stanley.
    Katherine betrachtete ihn einen Moment lang, seine Nasenlöcher, die wie zwei in den Kopf gebohrte Löcher wirkten, der auf dem Boden haftende Blick und alles andere an ihm, das sich in einem beständigen Schauer abwechselnd in Bewegung setzte und dann wieder zur Ruhe kam. Sie wartete, bis die beiden Frauen außer Hörweite waren. »Ja«, sagte sie. »Na schön. Was ist mit ihnen?«
    »Ich – nun – ich... also ich meine, vielleicht sind sie beschädigt.«
    »Beschädigt?«
    »Von – na, du weißt ja... von meinen Angewohnheiten !«
    Sie war eine geduldige Frau. Und sie liebte ihn. Doch dies war nicht die Art von Romanze, die sie sich erträumt hatte – weder wurde sie von stürmischer Leidenschaft dahingefegt noch mit geflüsterten Vertraulichkeiten und vergnüglichen Vorfreuden umworben – das hier war ein Seelendrama, es war verrückt. Ihr war heiß, sie schwitzte, und sie hatte eigentlich mit ihrer Mutter einkaufen gehen, nach Spitze für ihren Trousseau suchen wollen, statt dessen machte sie sich mitten auf der Straße zum Gespött der Leute, weil Stanley sich wegen einer Nebensächlichkeit aufregte – schon wieder. Sie hatte es satt. Die Furche, von der sie noch nichts wußte, tauchte zwischen ihren Brauen auf. »Wenn du so besorgt bist«, sagte sie, »warum gehst du dann nicht zu einem Arzt?« Damit wandte sie sich ab und stapfte ohne ihn davon.
    Später am Tag rief er sie von seinem Hotel aus an, um ihr mitzuteilen, daß er ihren Rat befolgen und den nächsten Zug nach Chicago nehmen werde, wo er einen Spezialisten aufzusuchen gedachte. Gegen Ende der Woche sei er zurück, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Doch am Abend stand er wieder vor ihrer Tür, Bridget bekam einen hysterischen Anfall, ihre Mutter zog ein Gesicht wie ein straffer Knoten, und Stanley benahm sich ebenso seltsam wie am Morgen – oder sogar noch seltsamer. Er sei in den Zug gestiegen und bis nach New London gefahren, und immer noch sprach er so, als wäre ihm eine johlende Meute auf den Fersen und dies könnte die letzte Rede seines Lebens sein, doch dann habe er nochmals über ihre Situation nachgedacht und den Gegenzug zurück nach Boston genommen, weil es etliche Dinge gebe, die einfach nicht eine Woche lang warten

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