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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Aufrichtigkeit, ich kann doch nicht – was ich dir sagen will, Katherine, du begreifst nicht. Ich bin... ich bin...« Er senkte die Stimme zu einem heiseren, kehligen Flüstern: »Ich bin ein Onanist .«
    »Guten Tag, Madame«, sagte das Mädchen und öffnete die Tür. »Und Ihnen ebenfalls, Sir.«
    Katherine verzog keine Miene. »Guten Tag, Bridget«, sagte sie und trat in die Eingangshalle mit dem mahagonigefaßten Spiegel, der Tiffany-Lampe und den Gardinen aus Nottingham-Spitze, wo sie sich mit einer eleganten Bewegung ihres Halses des Wollschals entledigte und dann die Arme hob, um ihre Hutnadeln zu lösen. Stanley starrte auf den Teppich. »Bringen Sie uns doch bitte etwas Tee in den Salon« bat sie das Mädchen. »Und ein paar Biskuits.«
    »Oh, ich kann nicht...« sagte Stanley und studierte immer noch das Muster des Teppichs, »wirklich, ich muß gehen, ich...«
    »Wir müssen miteinander reden, Stanley.« Katherines Tonfall ließ keinen Einwand zu. Sie machte eine ungeduldige Gebärde. »Komm, gib Bridget deinen Mantel, und wir setzen uns an den Kamin – du mußt ja völlig durchgefroren sein.«
    Wiederum ließ er sich führen, schlurfend und vornübergebeugt, ein Mann von sechzig, achtzig, hundert Jahren, das Gesicht tief gezeichnet von Schmerz und Scham. Schweigend lauschten sie der Uhr, die soeben die halbe Stunde schlug – sechzehn Uhr dreißig, es wurde schon dunkel. Stanley rutschte unruhig herum. »Ich bin so schmutzig«, stöhnte er.
    »Das bist du nicht. Ganz und gar nicht.«
    »Ich bin für die Ehe nicht geeignet. Ich habe unreine Dinge getan.«
    Sie ergriff seine Hand, und sie war ebenso durcheinander wie er, doch zu schaffen machte ihr nicht so sehr seine Enthüllung – gewiß war Onanie keine allzu erfreuliche Angewohnheit, nicht gerade ein Gegenstand, den man gerne beim Essen oder beim Kartenspiel erörterte, aber sie war Biologin, und als solche steckte sie diese Neuigkeit problemlos weg –, nein, ihr drängte sich der Gedanke an den Vorgang selbst auf. Immer wieder stellte sie sich Stanley vor, wie er, allein in seinem Schlafzimmer, Hand an sich legte und dabei vielleicht sogar an sie dachte, während er es tat, was ihr wohlige Schauer über den Rücken jagte. Sie konnte ihn vor sich sehen, nur in Socken, seine langen, kräftigen Beine, das blonde Haar auf Oberschenkeln, Brust und Unterleib, Stanley, ihr Verlobter, ihr Mann. Sie liebte ihn. Sie wollte ihn. Sie wollte mit ihm zusammen in diesem Schlafzimmer sein.
    Wie sie war auch er unerfahren, da war sie sich sicher. Und das war ja das Schöne daran. Einerseits war er ein turmhohes körperliches Prachtexemplar von Mann und dabei doch so sanft und gefügig, so daß sie ihn lenken und formen und zu etwas Außergewöhnlichem modellieren konnte, zu einem Vater, der so wie ihr Vater wäre. Eine solche Aussicht bestand bei Burschen vom Schlage eines Butler Ames nicht – das waren grienende, altkluge, zu groß geratene Schuljungen, die Frauen wie Hüte anprobierten und Prostituierte aufsuchten, ohne sich viel mehr dabei zu denken, als gingen sie zum Friseur oder zum Schneider. Stanley aber, Stanley war noch unschuldig und biegsam – und deshalb war es so wesentlich, ihn von seiner Mutter wegzubekommen, diesem aggressiven, lähmenden, verdummenden Monster von Frau, die ihren Sohn zum Schoßhund degradiert und dabei fast entmannt hatte. Er mußte frei werden, das war alles, dann würde er wachsen können.
    Katherine drückte seine Hand, als das Mädchen mit dem Teetablett in den Salon geklappert kam. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte sie. »Wirklich. Es sind nur deine Nerven, sonst nichts.«
    Der Salon war warm und sicher, eingehüllt in seine Einzigartigkeit, in der Schwebe der Zeit. Katherine wartete, bis das Mädchen das Geschirr abgestellt und die Türe geschlossen hatte. »Es ist einerlei, was du getan hast«, flüsterte sie, und sie wollte sein Gesicht küssen, seinen vorspringenden Kiefer, die Stelle an seinem rechten Augenwinkel, wo eine Locke schaukelte wie ein loser Faden in einem prächtigen Wandteppich, »denn jetzt hast du ja mich.«
    Im Juni wurde ihre Verlobung offiziell bekanntgegeben, und die Zeitungen von Boston, New York, Washington und Chicago setzten die Meldung auf die Titelseite, mit Berichten über beider Vermögen und Familiengeschichten, und ein Dutzend kleinerer Blätter, darunter auch der Princeton Tiger , schalteten größere Artikel. In den meisten davon wurde Stanley als »der

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