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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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schluckten Soleier und knabberten Brezeln, während auf dem Tresen die Biere gelblich prickelten und die Whiskeys und Bourbons aufrecht vor ihnen standen wie brave Soldaten. Praktisch nichts außer der Apokalypse würde diese Kundschaft abhalten, ihre Ellenbogen zu reiben, und O’Kane hatte vor, sich ihnen in Kürze beizugesellen, einstweilen aber genoß er sein Steak mit Kartoffelstreifen nach französischer Art und das erste köstliche Bier, während der Wind an den Fenstern rüttelte und es in der Kneipe so gemütlich wurde wie in einer Schiffskajüte.
    Er las in der Zeitung einen Artikel über die Fertigstellung von Las Tejas, einen neuen Prunkbau in Montecito, der dem Casino der Villa Farnese aus dem sechzehnten Jahrhundert im italienischen Viterbo nachempfunden war, als Cody Menhoff persönlich in seiner weißen Schürze aus der Küche stürzte und jubelte: »Der Krieg ist aus! Der Krieg ist aus!« Als allererstes erfuhr es eigentlich der Tellerwäscher und kam damit einer ganzen Prozession von Ladeninhabern, trommelnden Kindern und tomatengesichtigen Trunkenbolden um wenige Minuten zuvor. Er hatte gerade hinter der Kneipe den Mülleimer ausgekippt, als er lautes Johlen hörte und ein Gewirr von Beinen und weißen Knien durch die Gasse rennen sah: ein paar lärmende Jungen schwenkten eine Flagge, die wie Wäsche auf der Leine hinter ihnen herflatterte. »Was gibt’s Neues?« fragte er, obwohl er es schon erriet, und einer aus der Rasselbande hörte lange genug auf, seine Blechdeckel gegeneinander zu schlagen, um ihm zu erzählen, daß die Krauts offiziell kapituliert hatten. Diese Neuigkeit hatte er Cody überbracht, und Cody, ein massiger Holländer mit einem Gesicht wie ein Butterfaß, stürmte in die Kneipe und spendierte eine Runde.
    Bald darauf fuhr eine lange Schlange von Automobilen laut hupend durch die Straßen, und das Schankzimmer füllte sich rasch, Wind oder nicht – und es war keine kapriziöse Brise, sondern ein strenger Sturm, der ausgetrocknete Atem dieser Jahreszeit, der als wahrer Zyklon von den Bergen herunterpfiff, ein Widersacher aller Hüte, Dachschindeln und raschelnden Palmwedel. In Menhoffs Kneipe aber wehte kein Wind – bis auf den, den die Gäste selbst machten. Die Menge feierte, Toasts wurden ausgebracht und Ansprachen gehalten, und dann setzte sich jemand ans Klavier und spielte die Nationalhymne, in die alle mit feuchtfröhlichem Gejohle einfielen, und als sie dreimal damit durch waren, sangen sie »God Bless America«, den »Yankee Doodle« und »The Stars and Stripes Forever«. Es war berauschend und grandios, und obwohl O’Kane sich eigentlich auf zwei Whiskeys hatte beschränken wollen (in letzter Zeit war ihm das Trinken etwas entglitten, und er wollte sich wieder in den Griff kriegen), kannte er bald kein Halten mehr. Rasch kam er in Stimmung, klopfte anderen Leuten auf die Schultern, krähte Witze und Limericks in die Runde, tanzte einen improvisierten Jig mit Mart, der kurz nach neun mit Roscoe aufgetaucht war, den Kopf stolz erhoben, ein strahlendes Siegerlächeln im Gesicht. Gegen zehn saß O’Kane in einer Ecke und sang alte, traurige Lieder in einem gebrochenen Säuseln, und als Roscoe ihn am nächsten Morgen abholte, mußte er sich zweimal übergeben, bevor er sich anziehen und aufbrechen konnte, um zu sehen, wie Mr. McCormick die Neuigkeit aufnahm.
    Die Feierlichkeiten dauerten gute sechs Wochen, bis Weihnachten. Man konnte in jede beliebige Bar der Stadt gehen, vom miesesten Saloon mit fleckiger Messingtheke und Sägespänen auf dem Boden bis zu Menhoffs Kneipe oder dem Speisesaal im Potter Hotel, immer fand sich irgendwer, der sein Glas auf den Waffenstillstand erhob. Dann kam Weihnachten, und wieder galt es, ein Schlückchen zu trinken, sonst wäre man ja nicht richtig am Leben, und eine Woche später wurde das Neue Jahr in einem Meer von billigem Rotwein angespült, auf dem ein Floß mit bösen Gerüchten über die Alkoholgegner, die Prohibition und das Frauenwahlrecht dahertrieb, ganz zu schweigen von der Grippe-Epidemie, und O’Kane faßte den festen Vorsatz, sich wieder am Riemen zu reißen, sobald das Geschäft mit Jim Isringhausen wegen des Orangenhains erledigt war, für den er sein ganzes Leben – jedenfalls ziemlich lange – gespart hatte, denn das mußte er unbedingt noch feiern, keine Frage.
    Er verpaßte keinen einzigen Arbeitstag – nur ein Trunkenbold und versoffener Taugenichts würde seine Pflichten derart vernachlässigen –, sondern

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