Riven Rock
Erntemaschinen-Erbe« geschildert, dazu als »Automobil-Enthusiast« und »leidenschaftlicher Maler«, und Katherine war, ganz schlicht, eine »prominente Dame der Bostoner Gesellschaft und promovierte Wissenschaftlerin mit Abschluß vom Massachusetts Institute of Technology«. Die Boston Post bezeichnete ihre Verlobung als »äußerst vielversprechende und zu höchsten Erwartungen Anlaß gebende Verbindung«, und der Transcript ließ sich sogar dazu hinreißen, von der »Hochzeit des Jahres« zu sprechen.
Josephine war begeistert, sie versandte links und rechts Telegramme, wählte bereits Bäcker, Floristen und Küchenpersonal aus und schwatzte sich in der feinen Welt Bostons von einem Salon zum nächsten. Nettie war weniger erfreut. In ihren Briefen – getrennt abgesandt – an Stanley und Katherine schien sie zwar die Verlobung als Fait accompli hinzunehmen, doch sie hielt mit ihrer Mißbilligung nicht hinter dem Berg, besonders in ihrem Schreiben an Katherine, in dem sie an der zukünftigen Schwiegertochter sowohl die Moral als auch die Bildung bezweifelte (von letzterer habe sie zuviel), außerdem ihren Geschmack bei der Wahl von Kopfputz und Schuhwerk, ihre Ernährungsgewohnheiten, ihre Religiosität und ihre Ehrlichkeit gegenüber ihrem, Netties, letzten und geliebtesten Sohn. Das Wort »Liebe« fiel kein einziges Mal. Was Stanley anging, so schien er ständig zwischen Chicago und Boston unterwegs zu sein, nervlich stark überreizt, wie besessen von den kleinsten Details – »Mit welcher Reissorte sollen wir uns von den Gästen bewerfen lassen, mit Arborio oder texanischem Langkorn?« –, und dann und wann, wenn er am Bahnhof auf die Männertoilette ging oder durch die Glastüren des Copley Plaza schritt, hatte er das leise Gefühl, wieder den Hund im Spiegel zu sehen. Aber er versuchte es abzuschütteln – nur keine Sorge, es war ja nichts – und konzentrierte sich statt dessen darauf, alle Zeitungsmeldungen über sie zu sammeln und auf roten Karton aufzuziehen, als Andenken für Katherine. Sie legten einen Termin im Herbst, der Lieblingsjahreszeit der Braut, für die Trauung fest.
Dann aber, gerade als alles gut voranzugehen schien und die schwierigsten Hindernisse überwunden waren, brach langsam alles zusammen. Auf einmal hatte Stanley rasendes Herzklopfen – er war fahrig und zitterte, sprang ständig auf, schüttelte nervös die Finger, so daß sie wie Kastagnetten rasselten, verrenkte den Hals und drehte dauernd den Kopf als Reaktion auf einen frenetischen inneren Rhythmus – und sein einziges Gesprächsthema war Mary Virginia. Oder genauer: Mary Virginia und seine Genitalien.
Eines Morgens, etwa zwei Wochen nachdem die Hochzeit verkündet worden war, kam er hüpfend und zapplig in das Haus in der Commonwealth Avenue, mit unstetem Blick, zerfahrenem Gesichtsausdruck, und redete so schnell, daß ihn niemand verstehen konnte. Er verängstigte das Mädchen, verstörte den Koch und jagte in einem Energieausbruch Josephines Katze bis in die obersten Balken der Dachkammer hinauf. Katherine, die sich gerade in ihrem Zimmer angekleidet hatte, trat in den Flur, um nachzusehen, woher der Lärm kam, sah Stanley an sich vorbei die Treppe hochrasen, immer der Katze hinterher, und er schenkte ihr nicht einmal einen Blick. Als sie ihn auf den Stufen der Dachkammer einholte, konnte er sich ihr gar nicht erklären – er litt an einem Anfall von Logorrhöe, die Wörter stolperten übereinander, kollidierten in seinem Denken, und er faselte in einem fort von etwas, das sie nicht recht verstand, außer daß er ständig den Namen seiner Schwester wiederholte. Sie hatte ihn noch nie so gesehen – hervorquellende Augen, das Haar völlig zerwühlt, jede Faser, jede Zelle seines Körpers in rasender Fahrt, wie ein führerloser Güterzug –, und da bekam sie Angst. Es gelang ihr, ihn nach draußen zu bugsieren, hinaus in den Sonnenschein und an die frische Luft, damit er es vielleicht bei einem Spaziergang loswurde, was immer es war.
Sie gingen die gesamte Commonwealth Avenue entlang, vom Public Garden bis zum Hereford Square und wieder zurück – eigentlich war es eher ein Dauerlauf als ein Spaziergang, denn Stanley legte ein beschleunigtes Tempo mit steifen Knien vor, und Katherine klammerte sich an seinen Arm und bemühte sich, mit ihm Schritt zu halten. Die ganze Zeit hindurch hörte Stanley nicht auf zu zittern und zu zappeln und von Mary Virginia, ihrer Krankheit und einem mysteriösen »Weiß« zu brabbeln,
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