Riven Rock
weiter im Süden, gleich am Ozean, wo eine laue Brise in den Palmen spielte und alles so klein und ruhig war, und sich dort einfach für Mann und Frau ausgeben, wer sollte das bestreiten? Aber dann müßte er einen Wagen haben, ein Haus mieten – und das wär’ was, es wäre wieder so wie damals mit Rosaleen bei dem alten Rowlings, das plärrende Baby, die ganze Wohnung mit Scheiße vollgeschmiert...
Um halb elf, völlig durchgefroren und zutiefst angewidert von sich selbst – und auch von Giovannella und sogar von Guido, weil der den schlechten Stil besessen hatte, einfach zu sterben und alles durcheinanderzubringen –, kam O’Kane auf die Beine und stapfte durch die stillen, leeren Straßen zur Pension von Mrs. Fitzmaurice. Das Haus war dunkel bis auf die Lampe im Flur, und er schloß mit übertriebener Vorsicht auf, wobei er sich geistesabwesend fragte, ob in seiner Notfallflasche auf dem Fußboden hinter dem Schreibtisch noch etwas drin war – er stellte sie sich vor, ließ die goldgelbe Flasche Wirklichkeit werden –, als er bemerkte, daß auf dem Tisch im Flur ein Päckchen für ihn lag.
Es war klein, nicht größer als eine Zigarettenschachtel, und recht schwer, schwerer jedenfalls als nur Pappe. Es war außen doppelt und dreifach mit schmutzigweißem Band verklebt, und O’Kane sah einen Daumenabdruck auf einem Stück Klebeband, daneben steckten ein paar lose Haare. Er erkannte die Handschrift sofort: Rosaleens. Einen Augenblick lang zögerte er, drehte das Ding in der Hand herum. Es konnte nicht das sein, als was es sich anfühlte – ein Geschenk, ein verspätetes Weihnachtspräsent, vielleicht von Eddie jr. – nein, das war unmöglich. Wenn Rosaleen damit zu tun hatte, dann war es sicher etwas, das er sich lieber erst am nächsten Morgen ansehen sollte, bei Tageslicht, wenn Giovannella ihm nicht so sehr durch den Kopf ging.
Er nahm das Päckchen von einer Hand in die andere, dabei spähte er in den dunklen Aufenthaltsraum mit seinen spinnenartigen Pflanzen, den düsteren Möbeln und den Läufern, die knapp vor dem Ende ihres Läuferlebens standen. Ach was, dachte er, setzte sich auf den harten Stuhl im Flur und riß das Ding auf. Das Band verklebte ihm die Finger, das Packpapier fiel zu Boden. Und jetzt war er noch ratloser: es war das Taschenmesser, das er Eddie jr. geschenkt hatte, es kam wie ein Bumerang zurück zu ihm. Aber Moment, da war noch etwas, eine Nachricht, ein Zettel, zusammengeknüllt wie ein welkes Blatt in der Hülle aus Klebeband und Papier, beschrieben in dem unsauberen, halb analphabetischen Gekrakel, das so beredt von Rosaleens Innerem sprach:
Liber Eddie!
Ich kannich lenga mit die Lüge leeben. Im herpst hab ich Dir nich geschriebn aber bei uns hir is die Spaanische Gerippe gekomen und unser son is dran gestorbn. Er ligt auf dem Sankt Columbannusfridhof begrabn und ich hab Deine muter oder Sonswem nix gesagt und hir is das taschenmeser zurük es het dem Jungen bestimt gefaln
Deine Dich usw
Rosaleen
Er hatte keine Gelegenheit, darauf zu reagieren, weil in diesem Moment jemand hartnäckig gegen das Fensterchen in der Eingangstür zu pochen begann. (Und wie hätte er auch reagieren sollen – auf die Knie sinken, sich die Haare raufen, sein Schicksal dem Himmel klagen? Die traurige Wahrheit war, daß er seinen Sohn nie gekannt hatte. Irgendwo war ein Fremder gestorben, das war alles, und was hieß es schon, daß er Eddie O’Kanes Augen und seinen Gang und sein Aussehen gehabt hatte, wenn er lachte oder nachdachte oder sich das Knie aufschrammte und mit tränennassem Gesicht zu seiner Mutter gerannt kam? Na und?)
Das Pochen wurde lauter – tack-tack-tack-tack –, er ließ den Brief fallen und marschierte benommen auf die Tür zu. Ein Gesicht preßte sich im Dunkel der Nacht gegen das Glas, über das sich das Spiegelbild seines eigenen verdutzten Gesichtes legte. Anfangs dachte er an Gespenster, an dem Grab entstiegene Geister von verlassenen kleinen barfüßigen Jungen, die an der Grippe gestorben waren und ihn nun heimsuchten, und erst nach einer Weile wurde ihm klar, wer da mit einer Münze gegen das dünne Glas klopfte, ohne einen Gedanken daran, daß Mrs. Fitzmaurice aufwachen könnte, die am Ende des Korridors den leichten Schlaf der ewig Wachsamen schlief: es war Giovannella.
Sie sagte etwas, formte die Worte hinter dem Glas mit dem Mund, begleitet von einer Serie ungestümer Gebärden. Sie mußte ihn sprechen – sie wollte – wußte er schon?
Er öffnete ihr
Weitere Kostenlose Bücher