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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die Tür, und da war sie, schob sich an ihm vorbei in den Flur, mit ihrem breiten, schönen Gesicht und diesen Augen, die alles von ihm wußten, und sie trug Guido, den kleinen Guido, seinen einzigen noch lebenden Sohn, über der Schulter wie etwas, das sie vom Markt mitgebracht hatte, wie ein paar Pfund Schweinebraten oder Rinderfilet. Sobald er die Tür geschlossen hatte, fuhr sie zu ihm herum und umklammerte mit der freien Hand seinen Nacken, preßte den Mund auf den seinen, alles sehr theatralisch und wild, und er wurde auf einmal hellwach. »Er ist tot«, zischelte sie und warf den Kopf nach hinten, um ihm in die Augen zu sehen. »Er ist an der Grippe gestorben.«
    O’Kane legte einen Finger auf die Lippen. Mrs. Fitzmaurice würde bereits die Ohren spitzen, schon nach zehn Uhr abends und eine fremde Frau im Haus. Mrs. Fitzmaurice, diese tobende Furie, aber geschlechtslos wie ein alter Schuh. »Pssst!« zischte er warnend und rechnete halb damit, gleich seine vorwurfsvolle Wirtin hinter sich zu sehen, in ihrem Nachthemd, das bis zum Boden reichte. »Ich weiß.«
    Wieder drückte sie sich an ihn, hielt ihn fest, der kleine Guido dazwischen, ihre Wärme und ihr Geruch wie der von keiner anderen Frau: Nelken, Knoblauch, Vanille und Zwiebeln, die süß in der Pfanne brutzelten. »Ich hab Angst, Eddie«, flüsterte sie. »Guido... ich... ich hab ihn doch gepflegt, und jetzt ist er tot vom Fieber, ganz heiß ist er geworden, so traurig und jammervoll, er konnte gar nicht den Mund aufmachen, um was zu mir zu sagen oder zum Pfarrer, keine letzten Worte, gar nichts... und wie er gerochen hat – es war grausig, als würde er innerlich zerfressen, so daß nur noch Scheiße von ihm übrig wär.« Sie zitterte, eine Ader pulsierte an ihrem Hals, das Haar fiel lose unter der Hutkrempe hervor und hing ihr in die Augen. »Ich hab Angst, daß ich es auch... oder der kleine Guido, Eddie, unser Sohn. Die Leute sagen, man kann sich’s holen, wenn man nur auf der Straße an wem vorbeigeht, und verstehst du, Eddie: ich hab ihn gepflegt, ich hab Guido gepflegt.«
    Ihre Augen waren zwei wirbelnde Strudel, zwei Löcher, die ihr Gesicht von allem anderen entleerten, und sie wollte ihn nicht loslassen. Auch er hatte Angst. Erst Eddie jr. und jetzt das – was war, wenn sie sich angesteckt hatte? Wenn sie starb, so wie Wilson und Mrs. Goux und Wing? Was dann? Er sah über die Schulter, den Flur entlang zur Tür von Mrs. Fitzmaurice, alles wirkte matt und undeutlich im trüben Schein der Lampe. »Du bist jung und kräftig«, hörte er sich sagen. »Selbst wenn du es kriegst, dann wirst du’s überstehen. So wie Mart. Hab ich dir das von Mart erzählt?«
    »Ich bin Witwe, Eddie«, sagte sie.
    Er nickte. Sie war Witwe. Witwenschaft, das war nun ihr Zustand, ein trauriger Zustand, achtundzwanzig Jahre alt und schon des Mannes beraubt, und ein kleiner Sohn zum Großziehen.
    »Jetzt können wir zusammen sein.«
    Wieder nickte er, ohne zu wissen, warum. Er wollte ihr von Eddie jr. erzählen, von der Reue, die in ihm reifte, bis sie ganz schwarz war und sich in etwas anderes zu verwandeln drohte, in etwas Fauliges, Verzweifeltes, in etwas Kaltes und Hartes. Er wollte es ihr erzählen, aber er konnte nicht. Und er versuchte, sich von ihr freizumachen – nur um Atem zu schöpfen –, aber sie ließ ihn nicht los.
    »Hast du nicht gehört, was ich sage?«
    Er senkte den Blick, sah auf ihre Füße in einem Paar staubiger alter Knöpfstiefel, die vielleicht ein Kunde im Geschäft vergessen hatte. »Ich hab’s gehört. Aber komm, gehen wir nach draußen zum Reden, damit Mrs. Fitzmaurice...«
    »Ich will nicht nach draußen gehen. Ich will hier bleiben. Bei dir. Sieh her!« sagte sie, trat einen Schritt zurück und nahm das Kind von der Schulter, so daß er das fette Säuglingsgesicht sehen konnte, das ihm verschlafen entgegenstarrte. »Dein Sohn. Er ist dein Sohn, und du bist mein Mann. Begreifst du nicht? Ich bin jetzt Witwe. Verstehst du nicht, was das bedeutet?«
    »Ich bin schon verheiratet«, sagte er. »Das weißt du.«
    Er sah, wie sich die Furchen auf ihrer Stirn sammelten, während ihre Augen schmaler wurden und der Mund sich zusammenzog. »Ich spucke auf deine Ehe«, sagte sie und stieß sich so heftig von ihm weg, daß er Angst bekam, sie würde eine der Stehlampen umstoßen, alle im Haus aufwecken, Mrs. Fitzmaurice aus dem Schlaf aufstören, sein Leben auf den Kopf stellen.
    Er sagte, sie solle den Mund halten, verdammt noch mal den

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