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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Weinkellerei mit den Knöcheln, die jeden Tag die Straße auf und ab gekugelt war, immer umschwirrt von Kindern, Paketen und einem äußerst schmutzigen weißen Hund. Sie hinterließ einen aufgelösten Mann und eine von Kummer gebrochene siebenköpfige Brut, die aus den Fenstern im Obergeschoß gegenüber dem Haus von Mrs. Fitzmaurice in der State Street greinten, und das war deprimierend genug, doch ehe man wieder Luft holen konnte, wälzten sich auch noch der Ehemann und vier der Kinder mit über einundvierzig Grad Fieber in den Betten und starben. Dann kam der Gemüsehändler Wilson an die Reihe, ein Mann von Mitte Dreißig mit den Schultern eines Abwehrspielers und schwerem fleischigen Bizeps, der nie im Leben einen einzigen Tag krank gewesen war. Er sagte zu seiner Frau am Tag nach Weihnachten, ihm sei ein bißchen übel, was sie schlicht und einfach seinem übermäßigen Saufen zuschrieb, und sie wollte auch kein Wort von der rings um sie grassierenden Hysterie hören – bis er zwei Tage später tot war. Ihren ältesten Sohn erwischte es als nächsten – er war höchstens zwölf oder dreizehn Jahre alt –, dann Wilsons Bruder Chas, der die Eisfabrik betrieb, dann Chas’ Frau, und zum Neujahrstag waren sie alle drei tot und aufgebahrt.
    O’Kane wurde es unheimlich. Er ging an Wilsons Laden vorbei, wo die Läden herabgelassen waren und ein schwarzer Kranz an der Tür hing, und vom Eingang von Mrs. Fitzmaurices Pension konnte er den Zettel sehen, der am Fenster der Weinkellerei klebte: BIS AUF WEITERES GESCHLOSSEN. Die Straßen lagen verlassen da. Menhoffs Kneipe erinnerte an eine Grabkammer. Und in Fetzers Drogerie waren die Gazemasken innerhalb einer Viertelstunde ausverkauft. Aber wie steckte man sich überhaupt mit der Grippe an? Von anderen Leuten. Und wie hatten die sie bekommen? Von anderen Leuten. Und der erste, der allererste Fall – wie hatte der sich’s geholt? Mart vertrat die Meinung, es sei eine Strafe Gottes, »wegen dem Krieg und so«, während Nick sagte, es werde durch die demobilisierten Soldaten verbreitet. Mrs. Fitzmaurice lastete es der Unreinlichkeit an, keine weitere Debatte – schließlich hatte in ihrem Haus keiner die Grippe, nicht wahr? O’Kane nahm sich jeden Abend einen halben Liter Whiskey mit aufs Zimmer, wo er grübelnd auf dem Bett lag, und erst am Silvesterabend feierte er – aber mit Leuten, die dermaßen eingeschüchtert waren, daß sie jede verfügbare Flasche leertrinken mußten, nur um sich zu beruhigen.
    In Riven Rock hatten sie noch vergleichsweise Glück. Nur Mart und einer von Sam Wahs Küchenjungen – ein mondgesichtiges Bürschchen, das alle Wing nannten – steckten sich an. Mart lag anderthalb Wochen lang flach, bei seinem Bruder Patrick im Hinterzimmer, wo ihn Patricks Frau Mildred regelmäßig in kalte Tücher wickelte, um das Fieber zu senken, und ihm heiße Hühnerbrühe einflößte, wenn er Schüttelfrost bekam. Wing starb daran. Das war eine furchtbare Sache – er war noch ein Junge gewesen, Wing mit dem verschmitzten Lächeln und dem dünnen langen Haarzopf, wie Paul Revere auf den alten Stichen, und kein Wort Englisch hatte er gekonnt –, es traf alle sehr hart, aber niemand nahm es schwerer als Katherine. Nicht wegen Wing – den kannte sie nur als Namen auf der wöchentlichen Gehaltsliste –, sondern wegen Mr. McCormick. Die Infektion war im Haus, nicht draußen auf den Feldern, sie schwärte nicht nur in den Kloaken und Kaschemmen, sondern mitten in Riven Rock. Mart und Wing hatte es erwischt. Es könnte auch ihren Ehemann erwischen.
    Dieser Gedanke schien sie aufzurütteln. Sie verschob ihre Rückkehr nach Washington für die Dauer der Epidemie, und während der ersten Woche, als die Angst noch frisch und jung war, stürmte sie jeden Morgen um acht durch die Türen von Riven Rock, mit Mrs. Roessing im Schlepptau, dazu Dr. Urvater, einer der Weißkittel aus dem Ort, und zwei Helferinnen. Alle fünf trugen Gazemasken – »Die Grippe verbreitet sich über die Atemluft«, sagte sie immer wieder, »fast noch leichter als durch direkten Kontakt« –, und sie bestand darauf, daß das gesamte Personal, einschließlich des sich wütend sträubenden Sam Wah, ebenfalls Masken aufsetzte. Und während Dr. Urvater Mr. McCormick die Zunge niederdrückte und in die Ohren spähte und dabei leutselig mit Dr. Hoch über Käse, Lederhosen und derlei Themen schwatzte, flitzte Katherine durch die unteren Räumlichkeiten, gefolgt von einem Schwarm von

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