Riven Rock
zu entdecken, partnerschaftlich, ehelich, und ohne daß eine Schar von Geliebten und Huren und lustigen Witwen ihr dabei über die Schulter sah. Na schön. Sie würde ihm Zeit lassen. »Ich warte im Bett auf dich«, flüsterte sie. »Soll ich die Kerzen löschen?«
Und nun erklang seine Stimme, dicht vor ihr, gleich auf der anderen Seite der Tür: »Nein, es ist – ja, ja, tu das, und ich werde – ich komme gleich, muß nur noch ein paar Dinge, ja, natürlich...«
Sie huschte ins Bett zurück, ihr Atem verlangsamte sich vom Galopp zum leichten Trott, und beugte sich vor, um die Hand erst hinter die eine, dann die andere Kerze zu halten und mit leisem Hauch den Raum in Dunkel zu tauchen. Die Bettlaken hießen sie willkommen, die Nacht war mild, die Sterne schienen in das Fenster, das auf den See hinausging, deshalb zog sie die Vorhänge weit auf, damit wenigstens das Sternenlicht Kompaßpunkte zur Orientierung bieten konnte. Sie legte ihr Haar auf dem Kissen aus und lag wartend auf dem Rücken. Woran dachte sie? An alles. An alles, was ihr in ihrem bisherigen Leben widerfahren war, und sie sah jedes Gesicht, jedes Ereignis, hörte jedes Wort noch einmal, und die Sterne zogen weiter, und immer noch blieb Stanleys Tür verschlossen. Wieviel Zeit war verstrichen? War sie eingeschlafen? Sie stand aus dem Bett auf, der Teppich war ein Kontinent zu ihren Füßen, und jetzt das kalte steinerne Meer des Fußbodens, bis sie wieder an der Tür stand, und diesmal kam kein Flüstern über ihre Lippen, nichts, kein Wort. Die Klinke gab dem Druck ihrer Finger mit einem Klicken nach, und sie schwang die Tür auf.
Von dem Sekretär in der hintersten Ecke des Zimmers starrte ihr, bleich wie der Mond, Stanleys erschrockenes Gesicht entgegen. Er saß auf einem harten Stuhl, über die Schreibtischplatte gebeugt und in einem Gewirr von Papieren, Kuverts, Schreibfedern und Bleistiften versunken. Er brachte kein Lächeln zustande.
»Stanley, was in aller Welt tust du da?« fragte sie aus einer Verwunderung heraus, die an Benommenheit grenzte, und weshalb fühlte sie sich auf einmal so nackt und verletzlich? Ihr Negligé lag genau an den falschen Körperstellen eng an, und der verschreckte Blick ihres Mannes erfaßte gerade das Bild, das sie bot. In diesem Moment fiel ihr die Uhr auf dem Kaminsims auf, ein antikes Stück aus geschnitztem Holz und mit einem Schweizer Uhrwerk, das die vollen Stunden mit dumpfem Schnarren statt mit einer Glocke schlug. Nun staunte sie noch mehr. »Es ist fast vier Uhr früh«, sagte sie, und in ihrem Tonfall lagen Verärgerung, die Ungeduld einer Ehefrau, Fassungslosigkeit, ja Entsetzen.
»Ich, also«, fing er an, und sie sah, daß er immer noch den Smoking mit den langen Schößen trug, sein Zylinder lag nachlässig auf dem Schreibtisch vor ihm, »... weißt du, die Arbeit, die Korrespondenz, solche Sachen eben. Ich bin immer noch der Rechnungsprüfer der Harvester Company, auch wenn man es kaum glauben möchte, und ich – nun, und dann sind da all diese Dankschreiben, weil uns so viele Menschen... und Harold, ich mußte auch noch Harold schreiben und ihm von heute erzählen. Von uns, meine ich.«
Sie war wie vom Donner gerührt. »Aber Stanley, mein Liebster, es ist unsere Hochzeitsnacht...«
Das Licht der Lampe, die er auf den Schreibtisch gestellt hatte, zerteilte sein Gesicht. Er drehte sich von ihr weg, um etwas auf ein Blatt Papier zu kritzeln, und er war steif und unnahbar, die Feder kratzte auf dem Papier, bis die Spitze abbrach und er gereizt nach einer neuen griff. Es dauerte eine Weile, bis ihr klar wurde, daß er nicht antworten würde.
»Liebling, Stanley«, sagte sie, »kann das nicht warten? Wenigstens bis morgen früh?« Sie ging durch den Raum und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er reagierte nicht, zuckte nicht einmal, sondern schrieb einfach weiter und schirmte dabei das Papier mit der Hand ab. »Stanley, komm doch, sei vernünftig«, sagte sie mit leiser, lockender Stimme und streichelte das Haar in seinem Nacken.
Nun wandte er sich um und sah sie an, wobei er beide Hände über das Papier auf der Schreibtischplatte hielt, so daß sie nicht sehen konnte, was er schrieb, und was sollte das – Geheimnisse? Geheimnisse in ihrer Hochzeitsnacht? »Ich, ich...« begann er und ließ die Worte verklingen. Er schien wie im Halbschlaf, wie betäubt oder hypnotisiert.
Sie ließ ihre Hand über seine Schultern gleiten. »Komm doch«, murmelte sie, »es ist Zeit zum Zubettgehen. Mit
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