Riven Rock
Galerien und zum Besuch von Cartier & Fils und Tervisier & Dautant, und es würde gewiß ein Fest werden, auch wenn Nettie darauf bestanden hatte mitzukommen – und Josephine auch. Katherine lachte das intime, trällernde Lachen einer Braut, als sie darüber nachdachte, ob sich zwei Schwiegermütter auf einer Hochzeitsreise irgendwie gegenseitig aufheben würden.
Sie ergriff Stanley bei der Hand, als die Gäste – es waren nur etwa fünfzig eingeladen, der allerinnerste Kreis – sich langsam verabschiedeten. Es war der 15. September 1904, halb neun Uhr abends, und der Tag hing in Fetzen über dem See, während die Halle erfüllt war von fröhlichem Gelächter und Glückwünschen und dem rauschhaften Gefühl all dessen, was geschehen war, und dessen, was noch kommen sollte. Stanleys Finger schlangen sich um die ihren. Ihr Negligé – elfenbeinweiß mit einer Bordüre aus vanilleeisfarbener Brüsseler Spitze, Stanleys Lieblingsfarbe – war auf dem großen Himmelbett in der Bonaparte-Suite im Obergeschoß für sie zurechtgelegt. »Gute Nacht«, sagte sie zu einem Gast nach dem anderen, »gute Nacht und vielen herzlichen Dank«, während Stanley etwas steif neben ihr stand, den rechten Arm zum Händeschütteln ausgestreckt, grinsend wie ein kleines Kind, wie ein Verliebter, wie ein Hindu in Ekstase, und er maß jedes seiner Worte genau ab, während die Vorfreude ihm geradezu in den Fingerspitzen prickelte. Sie konnte es spüren. Das konnte sie.
Und dann folgte das große Abenteuer des Zubettgehens, das Hinausschicken der Dienstboten, die getrennten Ankleideräume und Badezimmer, die schüchtern lächelnden Mienen, die zärtlichen Worte, das Bett selbst. Katherine ließ sich Zeit, bürstete lange ihr Haar, krank vor Freude, eine neunundzwanzigjährige Jungfrau kurz vor der Befreiung. Sie rieb sich Lotionen ins Gesicht und in die Hände, betupfte sich hinter den Ohren mit Parfum, und als sie ihren Morgenrock neben dem Brautkleid über das Sofa breitete und die Unterwäsche ablegte, spürte sie, wie ein Schauder sie durchfuhr, der wie nichts war, das sie je erlebt hatte, eiskalt und fiebrig heiß zugleich, das Blut explodierte in ihren Adern wie Schießpulver. Dann das Nachthemd. Sie hob die Arme, auf einmal atemlos, und ließ die Seide an sich herabfließen wie Wasser. Zwanzig Minuten waren vergangen, seit sie Stanley an der Tür zu seinem Ankleideraum den Arm gedrückt und ein Küßchen auf die Wange gehaucht hatte. Die Stunde war gekommen.
Sie huschte barfuß ins Schlafzimmer, die warme Umhüllung der Seide strich ihr über Brüste und Hüften und wallte sanft um ihren Unterleib. Zwei zeremonielle Kerzen brannten zu beiden Seiten des Bettes – eine Idee ihrer Mutter –, und überall waren Blumen, ein ganzer Dschungel von Blumen, ihr Duft hing so dick wie Wachs in der Luft. Vor Aufregung konnte sie kaum atmen, und war das dort Stanley? Da, unter dem Laken – der Schatten auf dem Bett? Nein, er war es nicht, und ihre Finger erkannten, was die Augen nicht hatten sehen können: das Bett war leer. Das Zimmer war leer. Und Stanleys Tür geschlossen. »Stanley?« rief sie, und als keine Antwort erfolgte, versuchte sie es noch einmal, etwas lauter jetzt, und da wurde ihr klar, daß sie aus Leibeskräften schreien konnte, wenn sie wollte, denn es war niemand da, der sie hören würde, nicht einmal das Personal. Das verschaffte ihr ein eigenartiges Gefühl. Es war ein kühnes, lüsternes Gefühl, es war das Gefühl einer Ehefrau. »Stanley?«
Kein Geräusch.
Sie probierte die Türklinke: seine Tür war versperrt. Sie klopfte und rief nochmals: »Stanley?«
Diesmal ertönte aus der Tiefe des Zimmers dahinter eine gedämpfte Antwort, ein bestätigendes Knurren, aber so gepreßt und fern, als käme es aus Bonapartes Geheimtunnel weit unten im Bauch des Schlosses. »Ich bin bereit«, sagte sie, die Lippen an die Tür gedrückt. »Ich bin bereit für dich.«
Wieder ein Knurren, etwas näher jetzt, und Geräusche von Bewegung, gefolgt von einer tiefen, lastenden Stille. Was war nur los? Es dauerte einen Augenblick, dann trat ein Lächeln auf ihre Lippen. Er war schüchtern, sonst nichts, schüchtern wie ein kleines Mädchen, war das nicht süß? Sie wollte keinen Butler Ames oder Dr. Casaubon, um in die Wonnen des Ehelebens initiiert zu werden, sie wollte es so, sie wollte Stanley, der darin Anfänger war genau wie sie, der es langsam angehen und ihr so gestatten würde, alle Freuden des Eros gemeinsam zu erforschen und
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