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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Frieden mit Josephine, die sich wenigstens wie eine Dame benahm und mit den Skulpturen und Gärten von Prangins beachtlich guten Geschmack bewies, doch ihrer Tochter würde sie nie vergeben, dieser Wissenschaftlerin, dieser ruchlosen kleinen Schlampe, die ihr den letzten und jüngsten Sohn geraubt hatte, und während dieser Franzosenkerl intonierte: »Je vous déclare maintenant mari et femme« , stand sie hinter Stanley und zischelte: »Gottlos, gottlos ist das.« Gott sei Dank hatte sie Cyrus jr. mitgebracht, auf den sie sich stützen konnte, sonst wäre sie womöglich ohnmächtig geworden (weder Anita noch Harold würdigten die Zeremonie mit ihrer Gegenwart, denn so mußte man es wohl betrachten, auch wenn Anita ihr Kind zu pflegen hatte und in Harolds Fall, nun, irgend jemand mußte schließlich zu Hause bleiben und sich um die Firma kümmern). Sie weinte dennoch, wie es Mütter bei solchen Anlässen eben tun, aber ihre Tränen waren von ganz anderer Qualität als Josephines, die auf beiden Empfängen – falls dieser Begriff dafür überhaupt angebracht war – wie eine verstörte Dreijährige herumwimmerte, nein, Nettie weinte Tränen der Wut und des Hasses. Hätte sie Katherine erschlagen können, so wie sie in ihrem Gaston-Modellkleid voller Perlen und Spitzen vor ihr stand, mit diesem lächerlichen aufgeblasenen Pfannkuchen von Hut, den sie auf dem Kopf trug und mit dem sie fast ebenso groß wie Stanley wirkte, wenn man alles zusammennahm – Absätze, die aufgesteckte Frisur, Hut und Schleier –, sie hätte es getan, so helfe ihr Gott, sie hätte es getan.
    Und wie fühlte sich die Braut? Katherine war selig. Mehr als selig – sie war überschwenglich, sie triumphierte, die Schlacht war vorüber, die Zitadelle genommen, und sie war huldvoll in ihrem Sieg. Und verliebt war sie auch, hatte sie doch dieselbe Kluft wie Stanley übersprungen, und jetzt gab es keine Bangigkeit mehr, keine Angst vor dem freien Fall und dem Absturz: er war ihr Mann und sie seine Frau. Sie war zufrieden. Ohne Abstriche. Sie war sich so sicher wie noch nie im Leben. Was alles geklärt, was ihre letzten verbleibenden Zweifel verscheucht hatte, das war Stanley selbst, der sich ihr an jenem Sommermorgen vor dem Tor zu ihrem Schloß zu Füßen geworfen hatte.
    Er war so zerknirscht und bemitleidenswert, bleich wie ein Leichnam, zwei Wochen schlafloser Nächte starrten sie aus seinen Augen an, und jede Faser seines Körpers sehnte sich nach ihr. Er konnte sich nicht verteidigen oder auch nur erklären, wie und warum er gekommen war und was seine Anwesenheit für sie beide zu bedeuten hatte – er war von seinen Gefühlen überwältigt, das war es, ganz einfach. Er liebte sie. Konnte nicht ohne sie sein. Und sie brauchte es ihn nicht sagen zu hören oder in einem parfümierten Brief zu lesen, denn sie sah es in seinen Augen, auf seinem Gesicht und in seiner Haltung, aus der hoffnungslose, bußfertige Verzweiflung sprach: sie hatte ihm verboten zu kommen, und er war ihr ungehorsam geworden. Das schmolz ihr auf der Stelle das Herz, und sie ließ ihn eintreten, fütterte ihn mit Bonbons und madeleines , führte ihn durch das Schloß, zeigte ihm alle zwanzig Zimmer, und dabei schwebte sie auf den Fußballen, als wäre sie leichter als Luft und würde gleich abheben, und dann waren sie auf dem See und ruderten, und sie wußte, daß sie nichts auf der Welt mehr brauchte als Stanley an ihrer Seite.
    Ja, und nun waren sie verheiratet, wogegen niemand mehr etwas unternehmen konnte, weder Nettie noch die widerwärtige kleine Ratte von Rechtsanwalt – Foville oder Favril oder wie immer er heiß – noch diese wandelnde Bohnenstange namens Cyrus, steif und förmlich, über seine Internatsmanieren geradezu stolpernd, aber dabei dennoch taktlos wie ein Schuhputzer. Doch was bedeutete das schon? Sie hatte ja nicht die Familie McCormick geheiratet, sondern Stanley, und jetzt konnte der Rest ihres Lebens beginnen. Atemlos und leicht gerötet von dem Champagner, den sie getrunken hatte, wartete sie, bis die Feier zu Ende ging, ihre Mutter die Gäste in die Empfangshalle hinausgeleitete und Stanley grinsend und etwas blaß neben ihr stand. Alle Gäste übernachteten in Genf, auch Josephine – »Ich möchte, daß ihr das Haus für euch habt, Liebes«, hatte sie gesagt, »nur du und Stanley und das Personal« –, und am nächsten Morgen würden sie in die Flitterwochen aufbrechen, zuerst einen Monat lang nach Paris zum Einkaufen, zur Besichtigung der

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